Bernd Klein Karnevalsbilanz: "So asozial wie in diesem Jahr war es nie", sagte ein Kollege

Viersen · Hauptkommissar Bernd Klein war während der Karnevalstage stellvertretender Einsatzleiter. Im Interview spricht der Polizist über randalierende Jugendliche, den Alkoholmissbrauch an Karneval und darüber, was sich jetzt ändern muss.

Polizei-Hauptkommissar Bernd Klein war an Karneval stellvertretender Einsatzleiter.

Polizei-Hauptkommissar Bernd Klein war an Karneval stellvertretender Einsatzleiter.

Foto: Franz-Heinrich Busch

Herr Klein, wie schlimm waren die tollen Tage für Sie und ihre Kollegen im Einsatz?

Bernd Es war schlimmer als in den Vorjahren. Aber die gestiegene Zahl von Einsätzen ist nur das eine. Das andere ist die Wahrnehmung der Kollegen: Die Situationen, dass besonders junge Männer, wenn sie schon aus dem Verkehr gezogen worden sind, immer noch weiter randalieren und die Kollegen aufs Übelste beschimpfen und beleidigen, haben zugenommen. Normalerweise ist es so, dass man erkennt, wann man "verloren" hat. Diese Einsicht war bei vielen jungen Männern nicht mehr da.

In Ihrer Rosenmontags-Bilanz hieß es, die Respektlosigkeit und Aggressivität habe ein "nicht mehr tolerables Maß" erreicht. Was haben Ihre Kollegen während der Feierlichkeiten erlebt?

Klein Wir haben uns, wie in den vergangenen zwei Jahren auch, einen Gefangenenbus von der Justizvollzugsanstalt geliehen. Vor zwei Jahren reichte allein die Anwesenheit des Busses, zum Beispiel in Bracht. Da haben die Jugendlichen den fotografiert. Bei Facebook ging dann rum: "Achtung, die Bullen machen ernst." In diesem Jahr hatte der Bus nicht mehr diese Wirkung. Ein Kollege erzählte von permanenten Beleidigungen. Ein Sitz wurde völlig demoliert. Eine Mutter kam, um ihren Sohn abzuholen. Die sagte: "Ich erkenne meinen sonst so besonnenen, freundlichen Sohn nicht wieder." Als er sich beruhigt hatte, hat die Frau ihn mitgenommen. Nach fünf Minuten kam sie wieder. Der Junge war abgehauen. Letztendlich wurde er ein zweites Mal in Gewahrsam genommen. Diese Beispiele zeigen, dass der Respekt gegenüber unseren Einsatzkräften abnimmt. Das ist erschreckend.

Bekommen Sie hauptsächlich Beleidigungen ab? Oder werden Sie auch körperlich angegriffen?

Klein Wir hatten zwei Widerstandshandlungen. Das ist im Rahmen. Aber früher benahm man sich, solange die Polizei gegenwärtig war. Sobald der Streifenwagen um die nächste Ecke gebogen war, mag es wieder anders gewesen sein. Wir sind ja auch nicht völlig fantasielos. Aber der Respekt fehlt heute zu oft auch in Anwesenheit der Kollegen. Ein Kollege mit 35 Jahren Erfahrung sagte: "So asozial wie in diesem Jahr war es noch nie."

Wie war denn die Stimmung unter den Kollegen? Zunehmend gereizt?

Klein Die Kollegen haben sich nicht anstecken lassen. Gute Laune gibt das natürlich nicht, aber mit der Zeit bekommt man auch ein dickes Fell. Betroffen gemacht hat es viele. Die Kollegen, die selbst Mütter und Väter sind, reflektieren das jetzt in den Tagen danach zusätzlich auch aus diesem Blickwinkel.

Sie mussten von der "bislang bewährten Linie der Toleranz abweichen", heißt es in Ihrer Bilanz. Wie sah diese Linie ursprünglich aus?

Klein Grundsätzlich herrscht in den Karnevalstagen ein ziviler Ungehorsam, bei dem man mal über vieles hinweghören kann. Es wird öfter mal ein Auge zugedrückt.

Und das hat in den vergangenen Jahren funktioniert?

Klein Das hat funktioniert, aber auch da haben wir schon Leute aus dem Verkehr gezogen, die sich nicht benehmen konnten. Wir können aber auch nicht alle über einen Kamm scheren, die Karneval feiern. Der Großteil hatte einfach Spaß an der Freude. Aber es war erschreckend, dass mehr junge Menschen als sonst die Grenzen überschritten haben. Viele waren in aggressiver Grundstimmung unterwegs, viel zu viele junge Menschen waren viel zu betrunken.

Ist der Alkohol das größte Problem?

Klein Ja, definitiv. Wir hatten aber auch einen 17-Jährigen, der letztendlich bis Dienstagabend auf richterlichen Beschluss weggesperrt wurde. Der war kaum alkoholisiert. Der hatte vielleicht 0,3 Promille, mehr war das nicht. Der war nicht voll. Der wusste genau, was er tat.

Dem 17-Jährigen wurde schon am Altweiber-Donnerstag ein Schlagstock abgenommen. Wird der Karneval gezielt von Krawallmachern missbraucht?

Klein Den Eindruck haben wir bei einigen. Wir hatten im vergangenen Jahr eine Gruppe von Jugendlichen in Dülken, die sich über die Tage in ihrem aggressiven Verhalten gesteigert haben. Die Kollegen, die dort im Einsatz waren, haben die auch in diesem Jahr wiedererkannt. Die waren auch gar nicht verkleidet. Die Kollegen vor Ort haben auch aus den Erfahrungen mit der Gruppe relativ zügig Platzverweise ausgesprochen. Hier wäre zu viel Toleranz fehl am Platze.

Sind es denn nur Jugendliche, die über die Stränge schlagen?

Klein Nicht nur, aber überwiegend. Die meisten sind männlich und zwischen 15 und 20 Jahren.

Was sagen die Eltern, wenn sie ihre Kinder abholen?

Klein Manche erreichen wir erstmal gar nicht, weil die selber Karneval feiern. Wir haben auch erlebt, dass Eltern ihre Kinder nicht abholen wollten, weil sie das Problem schon kannten.

Sind die überfordert?

Klein Mit Sicherheit. Die Erziehung fängt schließlich im Elternhaus an. Und dann gibt es Eltern, die völlig entsetzt sind, weil sie ihre Söhne so nicht kennen.

Gibt es Dinge, die sich jetzt aus Ihrer Sicht ändern müssen?

Klein Das werden wir in Ruhe anhand der Ergebnisse unserer Nachbereitung überlegen. Unser Konzept ist grundsätzlich aufgegangen, auch wenn wir mehr zu tun hatten. Bei einer Geschichte wie der mit dem 17-Jährigen muss man vielleicht überlegen, ob man den nicht, statt nach dem dritten Mal, schon beim zweiten oder ersten Mal wegsperrt. Dann ist für den an Altweiber schon Aschermittwoch. Wir müssen überlegen, ob wir einen Tick früher einschreiten, um den vielen Friedlichen das Feiern zu ermöglichen. Aber wir bereiten das jetzt nach und ziehen dann Bilanz, auch mit den Städten und Gemeinden. Die sind näher an den Veranstaltungen und erster Ansprechpartner, um Lösungen für den übermäßigen Alkoholkonsum der jungen Menschen zu erarbeiten. Wir beteiligen uns daran natürlich.

Müssen die Veranstalter ihre Gäste besser im Griff haben?

Klein Bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen ist es schon sehr viel besser und professioneller geworden, da können wir uns bei der Security Täter und Opfer abholen. Bei dem, was sich auf der Straße abspielt, sind wir aber gemeinsam mit den kommunalen Ordnungsbehörden im Boot.

Wäre nicht der logische Schluss aus diesem Karneval, den Alkoholkonsum einzuschränken oder zu verbieten?

Klein Ich glaube, das ist nicht so einfach und auch nicht unsere Baustelle. Das ist eher Aufgabe der Jugendämter und Ordnungsbehörden, etwa den Verkauf an Jugendliche zu stoppen. Schnaps ist ja für Jugendliche unter 18 Jahren jetzt schon verboten. Trotzdem trinken die mit 15 oder 16 Jahren die "Kleinen Feiglinge". Es darf aber nicht sein - und davon hörten wir mehrmals -, dass vernünftige Jugendliche nach Hause gehen, weil sie keine Lust haben, mit volltrunkenen Gleichaltrigen in aggressiver Stimmung weiter zu feiern. Diesen Jugendlichen und allen Jecken wollen wir es im nächsten Jahr ermöglichen, das Brauchtum auch weiterhin genießen zu können.

KLAS LIBUDA FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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