Viersen Kindern in Bolivien eine Zukunft schenken

Viersen · Heute sind die Heiligen Drei Könige unterwegs - Jungen und Mädchen, die als Sternsinger den Segen von Haus zu Haus tragen und um eine Spende bitten. Beispielland der Aktion Dreikönigssingen ist in diesem Jahr Bolivien. Dort ist Julia Steger aus Kaldenkirchen als Missionarin auf Zeit im Einsatz.

 Julia Steger vor dem Abflug daheim in Kaldenkirchen.

Julia Steger vor dem Abflug daheim in Kaldenkirchen.

Foto: Busch

Im August flog Julia Steger nach Bolivien. Ein Jahr lang, das war der 18-Jährigen klar, würde sie das heimische Kaldenkirchen nicht wieder sehen. Denn die Abiturientin war entschlossen, als Missionarin auf Zeit (MaZ) die Steyler Missionare zu unterstützen. Sie führen im bolivianischen Tiefland, in der Kleinstadt San Ignacio de Velasco, ein Internat für Kinder und Jugendliche. Zwei Häuser gibt es dort - die "Casa Guadalupe", in der im vergangenen Schuljahr 17 Mädchen wohnten und lernten, und die "Casa San José", in der 14 Jungen wohnten. Die Stadt San Ignacio sei "ein bisschen ländlicher noch als Kaldenkirchen", erklärt Julia, "aber mit mehr Einwohnern". Am Stadtrand beginnt der Regenwald. Nur wenige Straßen sind asphaltiert, und während es in der Stadt fließendes Wasser, Strom, einen Markt und Schulen gibt, sieht das in den Dörfern in der Umgebung ganz anders aus: Je nach Größe und Lage gibt es in manchen Dörfern Wasser und Strom. In anderen Dörfern gibt es zwar fließendes Wasser, doch müssen sich mehrere Familien einen Anschluss teilen. Und in einigen Dörfern gibt es weder fließendes Wasser noch Strom.

Fast alle Familien arbeiten in der Landwirtschaft, da müssen auch die Kinder mit anpacken. Bis sie zehn oder zwölf Jahre alt sind, gehen die Kinder im Dorf zur Schule. "Je nachdem, wie groß das Dorf ist, gibt es manchmal sogar eine oder zwei Klassen der weiterführenden Schule, die die Kinder besuchen können", erzählt Julia.

 Die Kirche in einem der Dörfer in der Nähe von San Ignacio.

Die Kirche in einem der Dörfer in der Nähe von San Ignacio.

Foto: Steger

Doch wenn sie älter werden, reicht das nicht mehr aus: Wollen sie weiterhin zur Schule gehen, müssen die Kinder das Dorf verlassen und in die Stadt gehen. Deshalb gibt es in San Ignacio auch mehrere Internate, in denen die Jugendlichen wohnen und lernen können, wie die beiden Häuser der Steyler Missionare. Die Schüler, die in der "Casa Guadalupe" und in der "Casa San José" wohnen, besuchen das "Colegio Lotte Salzgeber", eine Schule, die von einem österreichischen Orden gegründet wurde. Schließen die Schüler dort die letzte Klasse ab, haben sie das Abitur und können studieren - falls ihre Eltern ein Studium bezahlen können.

Eines der größten Probleme der Jugendlichen, die im Internat wohnen, ist das Geld. Sie wissen, dass es den Eltern schwer fällt, auf die Kinder als Helfer zu verzichten und das Geld von 50 bis 150 Bolivianos (umgerechnet etwa 6,50 bis 20 Euro) pro Monat für das Internat aufzubringen, auch wenn das bei voller Verpflegung wenig ist, sagt Julia. Sollte das Geld nicht reichen, findet sich aber eine Lösung: "Beispielsweise sind dieses Jahr einige Schüler eine Woche länger im Internat geblieben und haben dabei geholfen, ein kleines Ferienlager für Kinder zu organisieren, und ein bisschen mit im Haus angepackt", berichtet die junge Nettetalerin. "Damit geben die Steyler denen, die sonst keine Chance auf Bildung haben, eine Chance, die ihr ganzes Leben verändern kann. Die Mädchen und Jungen entwickeln Träume und Perspektiven - und sind ihnen viel näher als jemals zuvor. Die meisten träumen davon, zu studieren und zu arbeiten, um dann ihren Familien, die ihnen das ermöglicht haben, zu helfen."

 "Hätte man mir vor zwei Jahren gesagt: Du wirst ein Jahr ohne Waschmaschine, ohne WLan und mit Strohmatratze im Stockbett leben und dich dabei superwohl fühlen, hätte ich das wohl selber nicht geglaubt", sagt Julia Steger.

"Hätte man mir vor zwei Jahren gesagt: Du wirst ein Jahr ohne Waschmaschine, ohne WLan und mit Strohmatratze im Stockbett leben und dich dabei superwohl fühlen, hätte ich das wohl selber nicht geglaubt", sagt Julia Steger.

Foto: Steger

Der Alltag im Internat bietet neben der Schule wenig Freizeit. "In jeder freien Minute gibt es Arbeiten im Garten oder im Haus, die erledigt werden müssen", erklärt Julia - etwa der Hausputz oder das gemeinsame Kochen. So lernen die Jungen und Mädchen, selbstständig zu werden und Verantwortung zu übernehmen für den Ort, an dem sie leben.

Als Missionarin auf Zeit ist sie wie eine "große Schwester" für die Mädchen: Sie hilft bei den alltäglichen Dingen, beim Hausputz, beim Kochen und bei den Hausaufgaben. Sie verbringt viel Zeit mit ihnen, hört zu - und freut sich ebenso wie die Mädchen, wenn am Wochenende Zeit ist, "zu tanzen, mal zu quatschen, rumzualbern oder in der Hängematte zu liegen".

Als sie Kaldenkirchen im Sommer verließ, war sich Julia sicher: Das MaZ-Projekt ist das richtige für mich. Daheim war sie in der Pfarrgemeinde St. Clemens aktiv, betreute eine Eine-Welt-Gruppe für Kinder. Sie wollte mal raus aus Deutschland, raus aus "diesem Konsumdenken, wo das Handy immer verfügbar ist und wir uns kaufen können, was wir möchten".

Vier Monate später sagt sie nun: "In dem Moment wusste ich ja gar nicht, was auf mich zukommt. Ob ich überhaupt eine richtige Dusche haben werde, wie das Essen sein wird, wie oft es möglich ist, mit der Familie und Freunden Kontakt zu haben." Viele Sorgen erledigten sich gleich am ersten Tag. "Hätte man mir vor zwei Jahren gesagt: Du wirst ein Jahr ohne Waschmaschine, ohne WLan und mit Strohmatratze im Stockbett leben und dich dabei superwohl fühlen, hätte ich das wohl selber nicht geglaubt, aber jetzt ist es so", berichtet Julia. Sie habe gelernt, damit umzugehen, wenn etwas anders läuft als gewohnt, oder nicht so funktioniert, wie man es gern hätte - wie es ist, eine Zeit lang kein Handy zu haben, oder kein fließendes Wasser, wie es ist, tagelang im Bus zu sitzen, oder mit sich und seinen Gedanken ganz alleine zu sein. "Am meisten hat sich mein Blick auf Glück geändert", lautet Julias Fazit nach der ersten Zeit. "So viele Menschen hier sind so viel glücklicher, offener und herzlicher als bei uns. Und sie sind zufrieden, auch ohne Handy, Computer, Jahresurlaub und die Gewissheit des nächsten Gehalts auf dem Konto." Eine schöne Zeit mit den Menschen zu verbringen, die man liebt - das sei den Bolivianern sehr viel wert. "Das wird, glaube ich, für mich eine der größten Herausforderungen, wenn ich wieder zurück bin", glaubt Julia, "mir ein bisschen von dieser Herzenswärme zu erhalten, die mir hier gezeigt wurde."

(RP)
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