Viersen Kindsmörderin ist Täter und Opfer zugleich

Viersen · Hauptmanns "Rose Bernd" wurde mit großartigen schauspielerischen Leistungen in Viersen aufgeführt.

 Auf der Bühne agierten Menschen von heute in einer sterilen Umgebung. Sie ließen sich weder einer bestimmten Epoche noch einer Region zuordnen.

Auf der Bühne agierten Menschen von heute in einer sterilen Umgebung. Sie ließen sich weder einer bestimmten Epoche noch einer Region zuordnen.

Foto: Busch

Allgemeine Empörung zog Gerhart Hauptmann im Jahre 1903 auf sich, denn er hatte als Geschworener maßgeblich zum Freispruch einer Kindesmörderin beigetragen. Der damals 42-jährige Dichter sah in der Täterin zugleich ein Opfer ihrer Umwelt. Eben diese vielschichtige Thematik machte er zum Thema seines Schauspiels "Rose Bernd". Das war jetzt in einer imponierenden Aufführung in der Festhalle in Viersen zu sehen. Die Agentur Landgraf hatte für eine Tournee eine Inszenierung der Ruhrfestspiele Recklinghausen übernommen, die 2013 in Zusammenarbeit mit dem Théâtre National du Luxembourg und dem Saarländischen Staatstheater Saarbrücken erfolgreich uraufgeführt wurde.

Die Regie (Frank Hoffmann) ging von der einleuchtenden Prämisse aus, dass die damaligen Zeitumstände nicht unbedingt berücksichtigt werden müssen: An der Problematik hat sich ja schlimmerweise bis heute nicht viel geändert. Auf der Bühne agierten deshalb Menschen von heute in einer sterilen Umgebung, die sich weder einer bestimmten Epoche noch einer Region zuordnen ließ.

Warum aber ließ die Regie die Schauspieler mit beabsichtigt gekünstelten, manierierten Gesten auftreten? Nun, das machte durchaus Sinn. Alle Personen, und das ist klar die Position Hauptmanns, sind sowohl Handelnde wie Getriebene, Täter wie Opfer. Unehrlich sind sie, auch gegen sich selbst. Diese Nicht-Übereinstimmung mit sich selbst schlägt sich zwangsläufig in ihrer Körpersprache nieder. Die kann gar nicht mehr authentisch wirken.

Folgerichtig haben die Schauspieler auch viel zu schreien. Vernünftig miteinander reden können sie nicht. Lautstärke und Gewalt treten an die Stelle des aufeinander Eingehens.

Deshalb wurde auch der Bühnenraum im Laufe der Aufführung nach hinten erweitert. Je größer der Raum, desto kleiner wirken die Personen in ihm. Sie handeln immer weniger aus eigener Verantwortung und immer mehr als Reagierende auf ihre Umgebung.

Die schauspielerischen Leistungen waren großartig. In der Hauptrolle der Rose Bernd glänzte Jacqueline Macaulay. Aber auch alle anderen Rollen waren hervorragend besetzt, so mit Ulrich Gebauer als Rose Bernds Vater oder Wolfram Koch und Anna Stieblich als Ehepaar Flamm. Alle neun Akteure spielten mit großer Leidenschaft. Ein Genuss war die fabelhaft deutliche Aussprache. Das begeisterte Publikum sah eine gelungene Kombination von klassischem Schauspielertheater und moderner Regiekonzeption.

(-tr)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort