Viersen "Kirche kann auch spannend sein"

Viersen · Seit fünf Jahren führt Andreas Bist Kommunionkinder durch die Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Bracht.

 Andreas Bist zeigt Schale und Kelch, in denen Brot und Wein dargebracht werden.

Andreas Bist zeigt Schale und Kelch, in denen Brot und Wein dargebracht werden.

Foto: Franz-Heinrich Busch

Die Aussicht vom Turm der Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Bracht ist schlicht beeindruckend. Auf der vierten "Etage", knapp 60 Meter hoch, schweift der Blick über den gesamten Ortsteil. Geschäftig flattern die Dohlen um den Kirchturm und kündigen laut den anbrechenden Abend an.

 Rund um die Kirche liegt der alte Kirchhof, hier von einer Laterne erhellt.

Rund um die Kirche liegt der alte Kirchhof, hier von einer Laterne erhellt.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

Der Stopp im Glockenturm ist im wahrsten Sinne der Höhepunkt der Kirchenbesichtigung mit Andreas Bist. Seit fünf Jahren führt der ehemalige Messdiener und Küster die Kommunionskinder kindgerecht durch das 1484 erbaute Gotteshaus. "Kinder interessieren sich nicht für Baustile und Zahlen, sie wollen eine spannende Tour voller Abenteuer erleben", sagt der Gruppenführer. Und ein Abenteuer ist der Gang über die 109 alten Holzstufen hinauf in den Kirchturm allemal.

Start und Mittelpunkt der Führung ist der Tischaltar im Herzen des Mittelschiffs. Hier wird die Eucharistie gefeiert. Hier werden die Gaben - Brot und Wein - dargebracht, die der Gemeinde in der Kommunion gereicht werden. "Also kann man hier auch ganz schnell die Verbindung zu den Kindern aufbauen", sagt Bist. "Die Kinder bereiten sich ja gerade auf ihre Erstkommunion vor und sind schon ganz gespannt darauf, was sie dabei erwartet."

Bist zeigt ihnen eine kleine Kanne, die den Kindern schon bei ihrer Taufe begegnete. Er präsentiert Schale und Kelch, aus denen die Gaben gereicht werden. Und dann holt er ein kleines Kästchen hervor, in dem drei goldene Gefäße stecken. "Die erste Reaktion der Kinder ist immer: Das sind die Gaben, die die heiligen drei Könige dem Jesuskind mitbrachten", erzählt Bist schmunzelnd. Tatsächlich aber handelt es sich um die heiligen Öle, eines zur Krankensalbung, eines für die Taufe und das dritte - besonders wertvoll - wird unter anderem bei der Firmung oder Priesterweihe verwendet. Ist die Aufmerksamkeit der Jungen und Mädchen geweckt, gewährt Bist den Blick hinter die Kulissen: "Ich zeige den Kindern ein paar Dinge, die sie sonst im Alltag oder während einer Messe nie zu Gesicht bekämen", sagt Bist und zieht dabei vorsichtig die Decke vom Tischaltar. Zum Vorschein kommt ein Stein - mitten in der Altarplatte. "Das Erstaunen der Kinder ist immer groß. Ich erkläre ihnen dann, dass jeder Altar, an dem regelmäßig die Messe gefeiert wird, eine eingemauerte Reliquie enthält", erklärt Bist.

Die Sorge der Kinder, dass es doch unhygienisch sei, "ein Stück von einem Toten" im Tisch zu verstecken, kann der Gruppenführer meistens nehmen. Dafür entbrennt die Neugier der Kinder: "Schon hier stellen sie unzählige Fragen", erzählt Bist. Von allgemeinen Dingen, etwa ob schon mal der Turm eingestürzt ist, bis hin zu konkreten Fragen, etwa wie das mit den drei Ölen funktioniert, wollen die Neunjährigen alles ganz genau wissen. "Wir kommen dabei schnell ins Gespräch, wodurch die Führung eine schöne lockere Atmosphäre bekommt", sagt Bist. Manche Antworten, so gesteht der Fachmann, müsse er sogar selbst erst recherchieren. "Aber auf die Weise bleibt die Kirche auch für mich spannend. Es gibt immer wieder neue Dinge, die man bei der Tour entdecken kann."

Reichlich zu entdecken haben die Kinder etwa am Hochaltar, insbesondere, wenn man, wie sie, mal in den Raum hinter dem sechs Meter hohen Kunstwerk blicken darf.

Hoch hinaus geht es für die Kinder auch: Nach einigen Informationen zum Chorgestühl, zu den Seitenaltären, der Predigtkanzel sowie dem Beichtstuhl, der Taufkapelle und dem "Bittaltar", machen sich die Kommunionsanwärter mit Bist auf den steilen Weg in den knapp 60 Meter hohen Glockenstuhl.

Vorbei an der Orgel, dem Läutapparat und dem Dachgebälk des Mittelschiffes, führt die Holztreppe hinauf zur Turmspitze. "Zu meiner Messdienerzeit durften wir nach Abschluss der Ausbildung hier hoch", erzählt Bist begeistert. "Für mich war das damals etwa ganz Besonderes." Das ist bei den Kommunionskindern heute nicht anders - insbesondere auch deshalb, weil sie seit 1996 die einzigen Besucher sind, die den Turm von St. Mariä Himmelfahrt besichtigen dürfen. "Sofern sich die Kinder während der Führung gut benommen haben", betont Bist. "Mir ist es wichtig, das die Besichtigung mit den Kindern zwar locker abläuft, sie aber auch Respekt für das Gotteshaus entwickeln."

Bislang war das immer der Fall. Deshalb, resümiert Bist, "ist es einfach schön, wenn man am Ende in leuchtende Kinderaugen sieht und sie mit dem Bewusstsein nach Hause gehen: Kirche kann auch spannend sein."

(RP)
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