Brüggen Lesen lernen war günstiger als Schreiben

Brüggen · In diesem Jahr feiert Bracht die urkundliche Ersterwähnung vor 900 Jahren. In einer Serie beleuchtet die Historikerin Ina Germes-Dohmen einzelne Aspekte der Dorfgeschichte. Den Auftakt bildet das Volksschulwesen im 19. Jahrhundert.

 Cornelius Dauwes, hier mit seiner Klasse, war bis 1910 als Lehrer und Küster in Bracht tätig. Im Fenster ist wahrscheinlich seine Tochter Anna zu sehen, die Handarbeitsunterricht gab.

Cornelius Dauwes, hier mit seiner Klasse, war bis 1910 als Lehrer und Küster in Bracht tätig. Im Fenster ist wahrscheinlich seine Tochter Anna zu sehen, die Handarbeitsunterricht gab.

Foto: Privatarchiv Walter Feyen

Als die Preußen 1815 die Regentschaft im Rheinland übernahmen, war es um die Schulbildung der meisten Brachter Kinder schlecht bestellt. Das katholische Schulhaus am Kirchplatz, wahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert, war so baufällig, dass man es nicht mehr nutzen konnte. Als Klassenraum musste man einen Raum bei Wirt Zoers (heute Hamers) mieten, der aber für die Menge der Kinder nicht ausreichte.

Lehrer Beckmann war Branntweinbrenner gewesen, bevor er Lehrer wurde und sich sein Handwerkszeug durch Selbststudium und Visitation zu beschaffen gesucht hatte - was mehr schlecht als recht gelang. Für den evangelischen Lehrer und Küster war erst im 18. Jahrhundert ein Gebäude errichtet worden, doch der dazugehörige Klassenraum für die circa zwanzig evangelischen Kinder war ein "enges, düstres und dumpfes Stübchen, das einem kleinen Stalle gleicht", so heißt es in einem zeitgenössischen Dokument.

 Die evangelische (l.) und die katholische Schule (r.) lagen im 19. Jahrhundert nebeneinander an der Marktstraße. In den 1950er-Jahren, aus denen die Aufnahme stammt, wurden sie nicht mehr als Schule genutzt.

Die evangelische (l.) und die katholische Schule (r.) lagen im 19. Jahrhundert nebeneinander an der Marktstraße. In den 1950er-Jahren, aus denen die Aufnahme stammt, wurden sie nicht mehr als Schule genutzt.

Foto: Privatarchiv Walter Feyen

Die Notwendigkeit besserer Schulräume war auch dem Brachter Gemeinderat bewusst. Er entschied, für die große Summe von insgesamt 2500 Talern eine neue katholische Schule neben der evangelischen zu bauen und die evangelische zu renovieren. Die neue Schule an der Marktstraße 8 (1974 abgerissen) hatte zwei Klassenzimmer von je 60 Quadratmetern. In das eine passten 110 Schreib- und Leseschüler, in das andere sogar 197 - wenn "man alles ausnutzt und sehr eng bebankt". 1860 unterrichteten die beiden Lehrer in dieser Schule 400 Kinder.

Um Entlastung zu schaffen und Mädchen und Jungen getrennt unterrichten zu können, wurde an der heutigen Schulstraße eine Mädchenschule mit zwei Klassenräumen und Lehrerinnenwohnung im Obergeschoss gebaut. 1910 kam ein neues katholisches Schulgebäude an der Altkevelaerstraße mit drei Klassenzimmern, die heutige "Alte Schule", hinzu. Die evangelischen Schüler zogen 1910 aus ihrer alten Schule Marktstraße 6 in das bisherige katholische Schulgebäude Marktstraße 8 um.

Im 19. Jahrhundert gab es in Bracht insgesamt zwischen 430 und 480 schulpflichtige Kinder im Jahr, 20 bis 30 von ihnen waren evangelisch. Die wenigen jüdischen Kinder gingen meist in die katholische Schule. Doch nicht alle Kinder kamen der Schulpflicht nach - die Schulbesuchsquote lag um 1820 im Sommer nur bei 15 bis 20 Prozent. Auf dem Feld wurden viele Hände gebraucht: Die größeren Kinder mussten mit anpacken oder die Aufsicht der jüngeren Geschwister übernehmen, damit auch die Mutter bei der Feldarbeit helfen konnte. Viele Kinder gingen nur bis zum Alter von zehn oder elf Jahren zur Schule. Das Schulgeld, das pro Kind, Stoff und Monat an den Lehrer zu zahlen war, konnten und wollten viele Eltern nicht über acht Jahre aufbringen. Wer nur Lesen lernte, bezahlte übrigens weniger als der "Schreibschüler".

Der erste Brachter Lehrer mit einer Seminarausbildung war Josef Wassen (1811-1891), der von 1829 bis 1876 segensreich an der katholischen Schule tätig war. "Die Schule erfreut sich unter dem sehr tüchtigen Lehrer Wassen einer in jeder Beziehung guten Verfassung", steht in einer Revision.

Er unterrichtete die Schüler in Lesen und Schreiben, Rechnen, Religion, Gesang sowie Obstbaumzucht für Jungen, hinzu kam etwas Geschichte und Biologie. Handarbeiten hatten nur die Mädchen. Um 1870 wurde auch Turnunterricht eingeführt. Seit 1860 wurden Lehrerinnen beschäftigt (von 1860 bis 1875 Ordensschwestern). Wassens Nachfolger als Hauptlehrer war Franz Schäpermeyer, dem ein befriedigender Gesamteindruck bescheinigt wurde. Als er 1912 in den Ruhestand ging, waren an der katholischen Volksschule insgesamt drei Lehrer und drei Lehrerinnen angestellt. Anders war es an der evangelischen Zwergschule, die immer nur einen Lehrer hatte. Bis 1825 lehrte hier Johann Abraham Jacobs so gut, dass sogar der katholische Bürgermeister Baron von Voorst zu Voorst seine Kinder zu ihm schickte. Doch nach seinem Tod fand sich wegen des kärglichen Einkommens durch das geringe Schulgeld der wenigen Schüler kein guter Lehrer mehr, bis es 1870 eine Umstellung auf ein Festgehalt gab. Mit Cornelius Heinrich Dauwes (1845-1935) kam ein beliebter Pädagoge an die Schule, der bis 1910 als Lehrer und Küster tätig war.

Zwischen 1814 und 1914 wurden drei Schulgebäude errichtet, die Anzahl der Lehrpersonen um 500 Prozent vermehrt und die Klassenstärken auf "nur" 75 Kinder verringert. Diese Veränderungen führten vor allem zu einer deutlich höheren Schriftlichkeit der Brachter.

(RP)
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