Viersen Opas Zug war das schönste Geschenk

Viersen · Vor mehr als 70 Jahren fertigte Joseph von Helden für seinen Enkel Klaus-Walter eine Eisenbahn an. Sie war nicht nur ein viel beneidetes Spielzeug, sondern auch ein Zeichen für eine außergewöhnliche Zuneigung in der Nachkriegszeit.

Viersen: Opas Zug war das schönste Geschenk
Foto: ""

Nie wird Klaus-Walter Bleischwitz (71) diesen Moment vergessen: Unter dem Weihnachtsbaum wartete auf den damals Dreijährigen eine bunte Holzeisenbahn. Eine Lok mit grünem Führerhaus, ein Kohletender, vier rote Waggons mit bunten Dächern für die Passagiere und ein Kesselwagen - und das alles mit funktionierenden Rädern und Kupplungen.

 Klaus-Walter Bleischwitz zeigt den über 70 Jahre alten Zug, der heute auf seinem Schrank steht.

Klaus-Walter Bleischwitz zeigt den über 70 Jahre alten Zug, der heute auf seinem Schrank steht.

Foto: busch

Diesen Traum eines jeden Jungen hatte sein Großvater Joseph von Helden selbst gebaut. "Das war mein schönstes Weihnachtsgeschenk", erzählt der Senior aus Süchteln. "Eine Eisenbahn hat wohl jeder Junge gern." Und Klaus-Walter war da keine Ausnahme: Keine Frage, dass er seine neue Holzeisenbahn sofort auf eine Reise schickte.

Ein Foto zeigt ihn mit glücklichem Lächeln, vollkommen vertieft in sein Spiel. Der neue Zug steht am Rand eines großen Tisches, auf dem eine Kirche und Häuser aufgebaut sowie unterschiedliche Tiere aufgereiht sind und auf dem Klaus-Walter kleine Autos umherflitzen lässt. Seine Begeisterung spiegelt sich in den Gesichtern seiner Großeltern: Gertrud von Helden freut sich über das ernsthaft-spielerische Tun ihres Enkels ebenso wie ihr Mann.

 Klaus-Walter Bleischwitz spielt mit der Holzeisenbahn (vorne links im Bild), die sein Großvater Joseph von Helden für ihn baute, Großmutter Gertrud schaut zu.

Klaus-Walter Bleischwitz spielt mit der Holzeisenbahn (vorne links im Bild), die sein Großvater Joseph von Helden für ihn baute, Großmutter Gertrud schaut zu.

Foto: Bleischwitz

"Mein Opa arbeitete bei der Firma Andrea, er war handwerklich sehr geschickt", erinnert sich der Süchtelner. Während des Zweiten Weltkrieges lebten die Großeltern mit ihm und seiner Mutter in einer Wohnung, der Vater war im Krieg. Nicht nur über die Eisenbahn konnte sich Klaus-Walter freuen: "Stundenlang hat mein Großvater mit mir gebastelt und gebaut, oft ging er mit mir spazieren." Auch Mandoline habe er gespielt. Für ihn sei der Opa eine besondere Bezugsperson gewesen, beide hatten ein inniges Verhältnis zueinander - umso mehr, als dass Klaus-Walter Bleischwitz als Junge seinen Vater vermisste.

Viele weitere Erinnerungen an dieses Weihnachtsfest hat der Süchtelner nicht mehr. Das Wohnzimmer sei - bis auf die Weihnachtstage - ungeheizt geblieben und sei bis zur Bescherung verschlossen geblieben. Auch einen geschmückten Tannenbaum habe es gegeben - doch alles tritt zurück hinter der Freude über das liebevolle, selbst angefertigte Geschenk seines Großvaters.

Der lange, bunte Zug wurde nicht nur zum unangefochtenen Lieblingsspielzeug des kleinen Jungen. "Mein Großvater hat mich auch stets darauf aufmerksam gemacht, vorsichtig zu sein und bei der Reihenfolge der Waggons auf den gefährlichen Funkenflug zu achten", erinnert sich der Senior heute mit einem Lächeln. Klaus-Walter Bleischwitz wachte über sein Spielzeug mit Argusaugen: "Kein anderes Kind durfte damit spielen", erzählt er. Und doch: Einmal waren Lok und Waggons für ganze zwei Tage verschwunden - und Klaus-Walter konnte erst wieder ruhig schlafen, als seine Holzeisenbahn wieder zurück war.

Von diesen zwei Tagen abgesehen, waren die Holzeisenbahn und ihr Besitzer unzertrennlich - bis heute. Zwar blättert der Lack an manchen Stellen vom Holz, auch funkeln die Messingteile vielleicht nicht mehr zu stark wie vor mehr als 70 Jahren - doch die Augen von Klaus-Walter Bleischwitz strahlen noch immer, wenn er den Zug sieht und wenn er an seinen Großvater denkt, der ihn schnitzte.

Dazu muss der 71-Jährige weder in den Keller hinabsteigen noch in Kisten wühlen. Auf einem Schrank im Notburga-Altenheim, in dem Bleischwitz mit seiner Frau Resi inzwischen lebt, steht die Eisenbahn - und hofft auf ihre nächste Fahrt. So wie damals, als der dreijährige Klaus-Walter sie unterm Tannenbaum entdeckte und mit "Tschschsch" auf die Reise schickte.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort