Viersen Pfleger protestieren für mehr Personal

Viersen · Stephan Seng legt sich heute Nachmittag wieder auf die Straße: Der Altenpfleger protestiert mit seinen Mitstreitern gegen Arbeitsbedingungen, die eine menschenwürdige Pflege erschweren.

 Der Flashmob "Pflege am Boden" im Dezember: Der Pfleger Stephan Seng will den Flashmob jeden Monat organisieren, bis sich etwas ändert.

Der Flashmob "Pflege am Boden" im Dezember: Der Pfleger Stephan Seng will den Flashmob jeden Monat organisieren, bis sich etwas ändert.

Foto: Busch

Stephan Seng versucht oft, die Bewohner des Hubertusstifts zum Lachen zu bringen. Manchmal begrüßt der Altenpfleger 90-jährige Frauen mit "Hallo Mädchen, wie isses?", damit sie lachen: Man hat sie so lange nicht mehr Mädchen genannt. Die Späße tun den Bewohnern gut. Vorgesehen sind sie nicht — genauso wenig wie die Gespräche und die Zeit, die sich die alten Leute wünschen.

Pflege nach Vorschrift erleben Seng und viele seiner Kollegen so, dass sie sich um das körperliche Wohl der Bewohner kümmern und dies dokumentieren sollen. Das psychische Befinden spielt eine untergeordnete Rolle. Heute um 16 Uhr zeigt der Pfleger auf der Hauptstraße, wie er das findet: Mit dem Flashmob "Pflege am Boden" machen er und seine Kollegen auf ihre Arbeitsbedingungen aufmerksam.

Es fehlt vor allem Personal. Die Zahl der Mitarbeiter in Altenheimen wird abhängig davon berechnet, wie viele Bewohner mit welchen Pflegestufen im Heim leben. "Die Personalausstattung orientiert sich an Anhaltszahlen, die bereits vor Inkrafttreten der Pflegeversicherung galten und übernommen wurden. Sie gelten bis auf leichte Veränderungen bis heute", erklärt Peter Babinetz, Geschäftsführer des Caritasverbands Kempen-Viersen.

Die Pflegeversicherung gibt es seit Mitte der 1990er-Jahre. Viele aktuelle Entwicklungen bilden die schon damals gültigen Anhaltszahlen für die Personalausstattung nicht ab: insbesondere die gestiegenen Zahlen der demenzkranken Bewohner sowie den höheren Aufwand für Qualitätsmanagement und Dokumentation in Altenheimen. "Dabei war der Stellenschlüssel schon bei der Einführung nicht wissenschaftlich belegt", sagt Babinetz. Es sei bis heute umstritten, ob er reicht, um angemessen zu pflegen. Babinetz bezweifelt das.

Für den Bundestagsabgeordneten Uwe Schummer (CDU) steckt dahinter ein generelles Problem. "Der Dienst am Menschen wird gesellschaftlich unterbewertet." Er hat bereits den Flashmob "Pflege am Boden" im Dezember besucht. Außerdem plant er, Seng und seine Kollegen einzuladen, um in Ruhe mit ihnen über die Schwierigkeiten zu sprechen. Schummer sagt zu, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. So ist im Koalitionsvertrag bereits festgeschrieben, dass ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden soll, der unter anderem dafür sorgen soll, dass auf Demenzerkrankungen eingegangen wird. Zudem soll mehr Geld für die Pflege ausgegeben werden. Doch Babinetz von der Caritas ist skeptisch: "Das glaube ich erst, wenn danach gearbeitet wird." Schließlich hatte sich auch die letzte Bundesregierung vorgenommen, die Pflege zu reformieren.

Stephan Seng will sich jeden Monat auf die Straße legen, bis sich etwas tut. "Das mache ich auch bei Regen oder Schnee." Er protestiert nicht nur für sich, sondern auch für die Bewohner in den Altenpflegeheimen. "Die Generation, die da liegt, hat Deutschland nach dem Krieg mit aufgebaut. Und jetzt lassen wir sie im Stich." Das kann er kaum ertragen.

Als Altenpfleger arbeitet Seng seit 38 Jahren. Vor einigen Jahren war die Arbeit zu viel für ihn. Er hatte einen Burn-Out, also eine Depression. Sengs Arzt fragte ihn, warum er erst so spät komme: Die meisten Pfleger würden bereits nach drei bis vier Jahren krank. Laut Gesundheitsreport der Krankenkasse DAK ist der Krankenstand bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen höher als in jeder anderen Branche. "Das hohe Krankenstandsniveau im Gesundheitswesen ist zu einem großen Teil auf stark belastende Arbeitsbedingungen zurückzuführen", heißt es darin.

Neben Seng hofft auch Babinetz, dass sich bald etwas ändert. "Das ist nicht nur ein Kampf für die pflegenden Kräfte. Das ist auch ein Kampf für die zu Pflegenden, zu denen unsere Angehörigen und später auch wir gehören können", sagt Peter Babinetz.

(RP)
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