Serie Mein Jahr In China Putzen am Neujahrsfest bringt Unglück

Viersen · Leon Zehner arbeitet ein Jahr als freiwilliger Helfer in der Entwicklungshilfe in der Provinz Yunnan. Vor kurzem hat der 18-Jährige mit einer befreundeten Familie das neue Jahr - berechnet nach dem Mondkalender - begrüßt.

 Vorbereitungen zum chinesischen Neujahrsfest: Leon Zehner aus Amern durfte bei den Vorbereitungen helfen.

Vorbereitungen zum chinesischen Neujahrsfest: Leon Zehner aus Amern durfte bei den Vorbereitungen helfen.

Foto: Leon Zehner

Schwalmtal/ lanping Ich nehme den Besen in die Hand und möchte den Boden kehren. Kurz bevor ich anfangen will zu putzen, eilt eine chinesische Oma auf mich zu. Sie nimmt mir den Besen ab und sagt: "Heute darf nicht geputzt werden." Es sei nämlich der erste Tag des chinesischen Neujahrs. Die Chinesen befürchten, dass das Glück weggefegt wird, wenn man den Boden putzt. Eine angenehme Tradition, finde ich.

Obwohl man in China inzwischen den uns bekannten gregorianischen Kalender benutzt, orientiert man sich fürs Neujahr immer noch am Mond- oder Lunisolar-Kalender. Deshalb habe ich in diesem Jahr zwei Mal gefeiert: einmal zum 31. Dezember und einmal zum Ende des Mondjahrs.

Ich befinde mich bei der Familie einer chinesischen Freundin mit dem englischen Namen Vicky. Sie ist die Freundin des Projektleiters von "Baumhaus", also meiner Entsende-Organisation. Seit ein paar Jahren lebt sie in Deutschland und spricht gut Deutsch. Sie ist für das Frühlingsfest nach China gekommen und hat mich eingeladen, um mit ihr und ihrer Familie das einwöchige Frühlingsfest zu feiern.

Mit drei Generationen ihrer Familie wohnt sie auf einem großen Anwesen. Die Familie hat einige Hühner, Gänse, Vögel, Fische und Hunde. Sie wohnt in einem vierstöckigen Haus mit vier Bädern und ausreichend viel Schlafplatz. Die Familie nimmt mich sehr nett auf und sorgt dafür, dass ich mich schnell wohl und integriert fühle. Vickys Mutter bezeichnet mich sogar als ihren Sohn.

Der Verbund der Familie ist auffällig. Vicky pflegt zu jedem Familienmitglied ein enges Verhältnis. Selbst ihre Tante nennt sie nicht Tante, sondern "Halb-Mama" und ihre Cousins spricht sie mit "Brüder" an.

Glücklicherweise darf ich viel bei den Vorbereitungen für das Fest mithelfen. Das ist nicht selbstverständlich, da Chinesen dazu neigen, ihrem Gast "eine Pause" zu gönnen. Selbst bei mehrmaligem Nachfragen lenken sie meist nicht ein, da sie es als unhöflich empfinden, wenn sie ihren Gast arbeiten lassen.

Bei der Familie ist es allerdings anders. Vielleicht auch durch den westlichen Einfluss von Vicky. Jedenfalls darf ich beim Dekorieren und beim Kochen helfen. Selbst beim Schlachten der Tiere ist es mir erlaubt zu assistieren. Insgesamt werden zwei Gänse, drei Tauben, drei Fische und vier Hühner für das Essen geopfert. Sowieso wird in den Tagen der Feierlichkeiten viel gegessen. Den Rest des Tages nutzen die Chinesen, um bei Gesellschaftsspielen oder Spaziergängen zu entspannen.

Der Jahreswechsel verläuft wenig spektakulär. Es werden nicht wie in Deutschland um Mitternacht Feuerwerkskörper in die Luft geschossen, sondern man schenkt dem genauen Jahreswechsel kaum Beachtung. Feuerwerkskörper werden dafür die ganze Woche an jedem Abend in Massen abgefeuert.

Dass man am Neujahrstag nicht Aufräumen darf, ist nur einer von vielen Bräuchen beim Neujahrsfest. Ein Augenmerk gilt den Vorfahren. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass vor dem Essen für jeden Toten der Familie ein kleines Schälchen Reis ins Feuer geschüttet wird. Man erhofft sich davon, dass die Ahnen satt werden. Das gleiche Prinzip wird beim Geld angewendet. Vor dem Essen wirft die Oma eine Handvoll Papiergeld ins Feuer.

Ich bin dankbar, einmal an einem chinesischen Neujahrsfest teilnehmen zu dürfen. Auch wenn der Tannenbaum und die Geschenke fehlten, erinnert es mich an vielen Stellen an Weihnachten. Besonders der Familienzusammenhalt hat mich begeistert. Und nun habe ich auch eine Ausrede, wenn ich mal nicht aufräumen möchte. Ich könnte das ganze Glück wegfegen - wer will das schon?

(RP)
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