Viersen Sankt Martin hört nach dem 100. Ritt auf

Viersen · Wolfgang Genenger legt sich morgen zum letzten Mal den roten Mantel um. Wobei: Ganz schließt er eine Rückkehr nicht aus

 Sein hat Wolfgang Genenger extra anfertigen lassen. Er hat schon einen Interessenten, der es ihm abkaufen möchte. RP-Archivfoto: F.H. Busch

Sein hat Wolfgang Genenger extra anfertigen lassen. Er hat schon einen Interessenten, der es ihm abkaufen möchte. RP-Archivfoto: F.H. Busch

Foto: Martinskostüm

Ganz leise sind die Paukenschläge zu hören, dann Trompetenklänge, die Singstimmen der Kinder und das Hufgetrappel. "Aus der Stille kommt Musik, dazu die Dunkelheit, die Fackeln: Wenn ich von weitem einen Martinszug nahen höre, bekomme ich Gänsehaut", sagt Wolfgang Genenger. Allzu häufig konnte er diese besondere Stimmung in den vergangenen Jahrzehnten jedoch nicht erleben. Denn normalerweise ist Genenger von Anfang an ganz nah dran am Martinszug. Aber: Auch das findet der 55-Jährige "ganz besonders". Seit 1983 spielt er in Viersen den Sankt Martin, insgesamt 99 Mal hat er mit dem Bettler seinen maßgeschneiderten roten Mantel geteilt. Morgen hat Genenger seinen 100. Auftritt - und damit seinen letzten. "Ich habe schon vor drei, vier Jahren angedeutet, dass nach dem 100. Mal Schluss ist", sagt er.

Im Bezirk Viersen-Nord war Genenger 25 Jahre lang der Sankt Martin, er führte unter anderem Martinszüge im Rahser, an der Krefelder Straße und in Willich-Neersen an, war außerdem der Sankt Martin der Stadt Viersen. "Ich stand schon als Sechsjähriger im Kinderkarneval auf der Bühne", sagt er. Ein Kostüm zu tragen und eine Rolle zu spielen, macht ihm Spaß. Doch irgendwann hatte er zu viele Verpflichtungen: "Ich hatte teilweise bis zu fünf Züge im Jahr. Das ging zu Lasten meiner Kinder, denn dann konnte ich oft nicht mit ihnen beim Zug mitgehen." Seit drei Jahren ist er nur noch für die Schüler der Remigiusschule der Sankt Martin. Auf dem Pausenhof wird er morgen Nachmittag noch einmal auf einem geliehenen Pferd ums Feuer reiten und die Mantelszene spielen, während die Kinder dazu das Martinslied singen.

"Als Sankt Martin hat man immer Angst vor dem Feuer", erzählt Genenger. "Schon ein kleiner Funkenflug könnte das Pferd erschrecken." Mit solchen Problemen müsse ein Sankt-Martin-Darsteller umgehen können, "man muss das Pferd beruhigen, es schon vorher an die Situation gewöhnen". Genenger reitet seit rund 40 Jahren, war Mitglied der Reiterei der St. Notburga-Schützenbruderschaft Viersen-Rahser. Er habe schon auf unzähligen Pferden gesessen, sagt er. "Als junger Mann war ich als Sankt Martin noch unbedarft. Heute denke ich mehr nach, bin vorsichtiger, denn die Verantwortung ist sehr groß." Wie schnell bei einem Martinszug die Stimmung kippen kann, hat er selbst erlebt: "1994 bin ich beim Zug durch Viersen-Nord mit meinem Pferd auf einen parkenden Golf gefallen", erzählt Genenger. "Ich bin durch einen Tunnel geritten, die Musik spielte - das war zu viel für das Pferd." Verletzt worden sei niemand. "Aber das Auto hatte einen Motorschaden."

Genenger hofft, dass er bei seinem letzten Zug entspannt die Stimmung genießen kann. Seit 28 Jahren gibt er für die Remigiusschule den heiligen Mann, viele Eltern der Schulkinder haben ihn selbst als Kind in dieser Rolle erlebt. Natürlich sei er wehmütig, gibt der 55-Jährige zu. "Aber es ist vernünftig, zurückzutreten." Denn er hat Rückenprobleme, reitet seit etwa fünf Jahren deshalb nur selten. Und noch etwas bewog ihn dazu, aufzuhören: "Ich möchte diese Verpflichtung nicht mehr haben", sagt Genenger. "Wenn irgendwo mal Not am Mann ist, helfe ich aber nach Möglichkeit als Sankt Martin aus", betont er.

Einer anderen Rolle bleibt er übrigens treu: Er sei weiterhin Nikolaus der Stadt Viersen, betont er. Mit Rauschebart und Gewand statt Helm und teilbarem Mantel zieht er am 6. Dezember wieder durch die Remigiuskirche.

(RP)
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