Kreis Viersen Schwierige Suche nach einer Wohnung

Kreis Viersen · Ein Arbeitsloser braucht dringend eine neue preiswerte Wohnung, findet aber keine. Die umstrittene Neuregelung bei den Mietobergrenzen erschwert die Suche. Kommende Woche wird sich der Kreis-Sozialausschuss dem Thema widmen

"Es wird für den kleinen Mann immer schwieriger, eine Wohnung zu bekommen", sagt frustriert Bernhard K., der schon lange in Kempen wohnt, aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsstelle verloren hatte und seit vielen Jahren Arbeitslosengeld bekommt. Da er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, haben wir ihn mal Bernhard K. genannt. Jedenfalls sucht K. seit einigen Wochen eine Wohnung, da der Vermieter Eigenbedarf geltend gemacht hatte. Und K. erhält Absage auf Absage.

"Der kleine Mann verliert seine Wohnung", diese Überschrift war kürzlich in unserer Ausgabe zu lesen, als es um die Neuregelung und um die Angemessenheit von Mietkosten ging. Danach spielen jetzt auch die kalten und variablen Nebenkosten, so die Kosten für Grundsteuer, Straßenreinigung und Allgemeinstrom, bei der Frage der Angemessenheit einer Mietwohnung eine wichtige Rolle. In Viersen würden durch die Neuregelung laut Stadt rund 600 Bedarfsgemeinschaften in "nicht angemessenen" Wohnungen leben. Der Kreisverband der CDU-Arbeitnehmervereinigung CDA und Verantwortliche der Stadt Viersen hatten zuletzt befürchtet, dass die Bezieher von Sozialleistungen viele Wohnungen nicht mehr nutzen könnten, da die kalten Nebenkosten den Durchschnittswert übersteigen. Der Kreis Viersen und das Jobcenter dementierten. "Wir werden auch in Zukunft dafür Sorge tragen, dass niemand wegen der Mietobergrenzen wohnungslos wird", versprach die Kreis-Sozialdezernentin Katarina Esser. Und der Geschäftsführer des Jobcenters Kreis Viersen, Franz-Josef Schmitz, betonte: "Wir verweisen niemanden in die Obdachlosigkeit." Erst Anfang 2019 sollen die Neuregelungen für Bestandsmieter greifen.

Das gilt aber nicht für Menschen, die zurzeit auf der Suche sind. Gerade hat Bernhard K. wieder einmal eine der vielen Ablehnungen von einem Wohnungseigentümer zu hören bekommen. Meist aber erst auf Nachfrage. "Denn die meisten Eigentümer reagieren überhaupt nicht, wenn ich mir Wohnungen angeschaut und gesagt habe, ich sei arbeitslos", sagt der Kempener, der schon längst seine Suche auf andere Orte im Kreis Viersen ausdehnen musste. Bernhard K. kritisiert ebenfalls die Festsetzung der neuen Brutto-Kaltmiete. "Diese Nebenkosten sind Jahr für Jahr variabel, können also dazu führen, dass dadurch insgesamt der Anspruch auf eine angemessene Wohnung verloren geht."

Der Arbeitssuchende macht dies an einem Beispiel deutlich: Er war endlich mal bei der Wohnungssuche in Viersen erfolgreich, hatte eine passende Zwei-Zimmer-Wohnung von erlaubten 48 Quadratmetern gefunden. Die Kaltmiete betrug rund 300 Euro; die Nebenkosten lagen bei 50 Euro. Er legt im Gespräch mit unserer Redaktion ein Schreiben des Jobcenters vor, das auch in diesem Fall von einem unangemessenen Mietpreis ausgegangen war. In der Stadt Viersen liegt bei einem Ein-Personen-Haushalt die Grenze der erlaubten "Brutto-Kaltmiete" bei 340 Euro. Mit der Konsequenz, dass vom Leistungsträger in diesem speziellen Fall auch keine Kosten für Umzug, Wohnraumbeschaffung oder Kaution übernommen werden können.

Für den 55-Jährigen ist es nicht nachvollziehbar, dass die verbrauchsabhängigen Nebenkosten als ein Maßstab zugrunde gelegt werden, um eine generelle Angemessenheit einer Wohnung zu bestimmen. Er kritisiert, dass bereits im Jahr 2013 Gutachter der Firma Empirica die Frage der Angemessenheit der Mietkosten neu definiert hatten. Der Kreis hatte dieses Gutachten erstellen lassen und sich diesem angeschlossen. Bernhard K.: "Das Konzept wird zwar fortgeschrieben, allerdings findet dabei der Flüchtlingsstrom überhaupt keine Berücksichtigung." K. meint, dass dadurch in Kempen die Suche nach geeignetem Wohnraum viel schwieriger geworden sei. Er muss bald aus seiner Kempener Wohnung ausziehen. Wohin, weiß er nicht. Monatlich erhält er einen Regelsatz von derzeit 409 Euro. Daraus muss er etwa die hohen Fahrtkosten bezahlen, die er bei der Wohnungssuche in andere Städte und Gemeinden des Kreises aufwendet, die nicht im Rahmen der Wohnungsbeschaffung erstattet werden. Und noch etwas erschwert seine Suche: sein Hund. "Tiere in meiner Wohnung, auf keinen Fall" - auch dies hört der Kempener immer wieder. Hund und dann noch arbeitslos. Das geht offenbar gar nicht.

Derweil wächst der politische Druck auf Landrat Andreas Coenen (CDU), die Neuregelung zu ändern. Der Kritik aus Viersen schloss sich jetzt in der jüngsten Ratssitzung auch Nettetals Bürgermeister Christian Wagner (CDU) an: "Ich glaube, dass der Kreis angesichts des Gegenwinds aus den Gemeinden nachbessern wird." Eine praktikable Lösung müsse gefunden werden.

Die Stadt Nettetal würde durch die Neuregelung entlastet. Laut Beigeordnetem Armin Schönfelder würden nach der alten Regelung 16 Prozent in zu großen oder zu teuren Wohnungen leben. Nach der neuen Regelung seien es rund zwölf Prozent. "Das heißt nicht, dass diese Menschen ausziehen müssen. Sie müssen aber die Differenz selbst bestreiten." Probleme sieht die Stadt Nettetal wie auch die Stadt Viersen beim Neubau von Sozialwohnungen. Sie würden sich für die Bauträger nicht mehr rechnen.

Auch die Kreis-Politiker im Sozialausschuss wollen über die Neuregelung diskutieren. Die Änderung hatte die Kreis-Sozialdezernentin als Geschäft der laufenden Verwaltung vorgenommen, ohne politischen Beschluss. Die Kreis-FDP hat bereits erklärt, sie lehne die Neuregelung ab. Im Viersener Stadtrat berichtete Bürgermeisterin Sabine Anemüller (SPD) von einem Entgegenkommen des Kreises: "Uns wurde in Aussicht gestellt, dass die Fortschreibung des Konzeptes vorgezogen werden könnte." So könnten die neuen Obergrenzen früher an die realen Kosten angepasst werden. Und: "Es soll eine Kommission geben, in der Vertreter der Stadt, des Kreises und der städtischen Wohnungsbaugesellschaft VAB sitzen", kündigte die Bürgermeisterin an. Diese Kommission soll mit dem Kreis über die Knackpunkte der Neuregelung sprechen. Einstimmig beauftragte der Stadtrat die Verwaltung, mit dem Kreis Gespräche zu führen. Ziel: die Mietobergrenze neu zu regeln, so dass bei den kalten Nebenkosten in der Stadt Viersen nicht der Kreisdurchschnitt bindend ist.

(RP)
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