Lokalsport Fußball als Integrationsmotor

Nettetal · United Nettetal wurde als Fußballmannschaft für Flüchtlinge gegründet, inzwischen spielen aber auch Deutsche mit. In der Adventszeit gab es Freundschaftsspiele gegen Vereinsteams, doch der Integrationsgedanke geht weit über Weihnachten hinaus.

Dass die Alten Herren und die Hobby Kicker von Rhenania Hinsbeck im Dezember Freundschaftsspiele gegen die Flüchtlingsmannschaft United Nettetal bestritten haben, passt ja eigentlich perfekt in den Adventsmonat. Denn zu keiner Zeit des Jahres ist in Deutschland die Bereitschaft zu sozialem Engagement größer, als wenn es auf Weihnachten zugeht. Doch die beiden Partien waren alles andere als Einmalaktionen, sondern viel mehr Fortsetzung und Zwischenstation ehrenamtlichen Einsatzes für Menschen in einer Ausnahmesituation.

"Es braucht keine Weihnachtszeit, um sich sozial zu engagieren", sagt der Nettetaler Andreas Koll. Als der Flüchtlingsstrom nach Deutschland im September 2015 immer stärker anschwoll und Hunderte Menschen in der zur Notunterkunft umfunktionierten ehemaligen Hauptschule in Lobberich einquartiert waren, zerbrach sich Koll den Kopf darüber, wie er helfen könnte. Als ehemaligem Bezirksligakicker von Rhenania Hinsbeck kam ihm die Idee, eine Fußballmannschaft ins Leben zu rufen und regelmäßig mit den Flüchtlingen zu trainieren. Einerseits, um ihnen Ablenkung von ihrem teils tristen Alltag zu verschaffen, andererseits, um ihnen Hilfestellung auf dem Weg in die deutsche Gesellschaft zu geben. "Der Fußball ist für die meisten jungen Männer eine willkommene Abwechslung, und sie nutzen den Sport mit viel Leidenschaft und Ehrgeiz quasi als Ventil, um Enttäuschungen und ihre missliche Lage zu verarbeiten", sagt Björn Rulands, Lehrer aus Nettetal, in dem Koll einen Mitstreiter gefunden hat. Er ergänzt: "Die große Resonanz zeigt, dass der Sport für die Flüchtlinge eine wichtige Integrationsmaßnahme darstellt."

Dank ihrer Kontakte bekamen Koll und Rulands auf der Anlage des FC Lobberich/Dyck schnell Trainingszeiten eingeräumt. "Da sind wir super positiv empfangen worden", erinnert sich Andreas Koll. Als das Wetter im Winter immer schlechter wurde, fanden die Kicker von United Nettetal dann auch noch eine Heimstatt in der Soccerhalle von Grenzland-Fitness, wo sie sogar regelmäßig kostenlos trainieren durften.

Inzwischen hat das Flüchtlingsteam auch einen Entwicklungsprozess durchgemacht. Personell gezwungenermaßen, denn die Spieler aus der ersten Phase sind mit ihren Familien auf anderen Städte verteilt worden. Der aktuelle Stamm der Mannschaft besteht hauptsächlich aus Syrern, Irakern und Afghanen, insgesamt sind acht Nationen mit von der Partie. Darunter ab und an auch Deutsche aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis von Koll. Die Entwicklung hat sich aber auch im persönlichen Bereich der Flüchtlinge vollzogen. Durch die Maßnahmen der Stadt Nettetal konnten inzwischen alle Flüchtlinge außerhalb von Notunterkünften untergebracht werden und sprachlich tut sich auch etwas. "Anfangs haben wir uns mit einigen maximal auf Englisch unterhalten können, inzwischen beherrschen alle auch zumindest ein bisschen Deutsch", sagt Koll. Eine besondere Stellung im Flüchtlingsteam nimmt der Iraker Emad Fadhil Abbood ein, der sich mit seinen guten Englischkenntnissen einerseits als Dolmetscher einbrachte, aber schnell auch als Kapitän Verantwortung übernahm. "Wir Flüchtlinge sind hier in Nettetal unglaublich herzlich aufgenommen worden. Das gilt auch in besonderem Maße für den Sport. Das regelmäßige Fußballtraining hat uns während der Zeit in der Lobbericher Notunterkunft viel Kraft gegeben", erklärt der Iraker.

Doch es wurde eben nicht nur trainiert, bald wurde auch der Kontakt zu Fußballvereinen gesucht. Ein erstes Freundschaftsspiel wurde gegen ein Team des FC Dyck bestritten, und ein spektakuläres 4:4 sorgte für zusätzliche Motivation. Teilnahmen beim Gerümpelturnier von Rhenania und beim Brüggener Intergrationsturnier folgten. Die beiden jüngsten Partien im Dezember waren dann weitere Höhepunkte, auch für die Gegner. "In keinem Bereich sind die Unterschiede zwischen unserer abendländischen Gesellschaft und den Flüchtlingen kleiner als im Sport. Egal, welche Sportart ausgeübt wird, die Regeln sind meist international gleich. Von daher scheint es am einfachsten, über den Sport mal zueinanderzufinden", sagt Horst Kall, Übungsleiter von Rhenanias Hobby Kickern.

Weitere Partien sind geplant, auch um möglichst viele Flüchtlingskicker in regulären Mannschaften unterzubringen. Rhenania hat schon zwei Spieler aus dem United-Team verpflichtet, in der Reserve von Union Nettetal spielen auch zwei, in Leuterheide und Schaag trainieren Flüchtlinge mit. "Ich rate jedem Verein, sich mal bei uns umzuschauen. Da sind tolle Talente dabei. Die sind alle läuferisch und technisch sehr stark, nur die taktische Ausbildung fehlt noch", erklärt Koll. Dass einige Einwanderer schon in Fußballvereinen mitspielen, ist auch der Nettetaler Flüchtlingshilfe nicht entgangen. "Das ist Integration pur", sagt deren 2. Vorsitzender Ralf Schröder, der mit seinem Verein die private Initiative von Koll und Rulands ausdrücklich unterstützt: "Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer wären die vielfältigen Aufgaben gar nicht zu leisten."

Andreas Koll ist zuversichtlich, dass es United Nettetal noch weit über die Weihnachtszeit hinaus gibt. Dass er sich aber gleichzeitig wünscht, dass sich das Flüchtlingsteam irgendwann von alleine auflöst, ist kein Widerspruch. Denn das würde bedeuten, dass alle Mitglieder bei Vereinen untergekommen sind und damit ein wichtiger Schritt im Integrationsprozess abgeschlossen wäre.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort