Schwalmtal Täglich steht Deutsch auf dem Stundenplan

Schwalmtal · Ein Koch, ein Arzt und eine Anwältin drücken in Waldniel gemeinsam die Schulbank. Sie nehmen an einem Einstiegskursus teil.

Was Athanasios Katsios an die Tafel schreibt, wird notiert. Das Wohnzimmer, die Küche, das Schlafzimmer, das Badezimmer - Katsios schreibt auf, erklärt. Die Männer und Frauen, die an einem langen Tisch in einem Haus des Bethanien Kinderdorfs in Waldniel sitzen, schreiben die fremden Wörter in ihre Hefte. Und wie spricht man sie aus? Eine junge Frau versucht es: "Schlafsimmer. Kusche." Katsios verbessert: "Schlaf-z-immer. K-ü-che." Im Gespräch mit Katsios oder miteinander lernen die Erwachsenen, die Wörter in Sätzen zu verwenden. "Wie viele Zimmer hat deine Wohnung? Welche Zimmer gibt es?", will Katsios von einem jungen Mann wissen. "Die Wohnung hat acht Zimmer", antwortet der Angesprochene. "Sechs Schlafzimmer, ein Badezimmer. Und eine Küche." Das klingt schon sehr sicher, und Katsios fragt den nächsten: "Wie viele Zimmer hat deine Wohnung?"

Seit einer Woche steht für die Männer und Frauen Deutsch auf dem Stundenplan - und zwar täglich. Das geht vor allem durch Sprechen. Katsios will wissen, wie alt sie sind, wie viele Geschwister sie haben, welchen Beruf sie haben. Der eine ist Arzt, der nächste Fotograf, ein anderer Taxifahrer. Ein Koch ist dabei, ein Musiker, eine Anwältin, eine Informatikingenieurin, ein Lehrer. Sie kommen aus Syrien, Eritrea, Iran und Irak, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Deutschland bleiben können, ist hoch. Deshalb dürfen sie einen der Einstiegskurse besuchen, die in Schwalmtal gerade eingerichtet worden sind. Der erste ist in der vergangenen Woche gestartet, der zweite in dieser Woche. Weitere werden folgen.

Träger der Kurse in Schwalmtal sind die Euro-Schulen, die auch in Süchteln und Dülken Einstiegskurse anbieten. Ein Kursus umfasst 320 Unterrichtseinheiten, bis zu 25 Männer und Frauen können teilnehmen. Die Asylsuchenden in Waldniel haben von Montag bis Samstag Unterricht. Mittwochs findet der Kursus nicht statt, dann machen die Ehrenamtler des Asylkreises Angebote für Flüchtlinge. Und der Einstiegskursus solle keine Konkurrenz dazu sein, sondern eine Ergänzung, betont Jens Heckersbruch, Leiter der Euro-Schulen Niederrhein. Also ist mittwochs kein Unterricht, aber samstags.

Im Kreis Viersen bieten unter anderem auch die Volkshochschule und das Kolpingsbildungswerk Einstiegskurse an. Bezahlt werden die Kurse von der Bundesagentur für Arbeit (BA), die Kurse fördert, die seit dem 24. Oktober begonnen haben. Die Träger müssen einige Voraussetzungen erfüllen: "Die Inhalte der Kurse sind auf die Vermittlung von Basiskenntnissen der deutschen Sprache zu beschränken", teilt die BA auf ihrer Internetseite beispielsweise mit. Gefördert werden die Kurse nur für Teilnehmer, die aus einem der vier genannten Länder stammen - weil bei ihnen "ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist". Sie müssen, wenn sie den Kursus beginnen, eine Aufenthaltsgestattung oder eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BüMA) vorweisen können. Und der Kursus muss notwendig sein - die Teilnehmer dürfen über "keine oder nicht verwertbare Deutschkenntnisse" verfügen.

In vielem anderen sind die Träger bei der Einrichtung der Kurse auf sich gestellt. Für viele Dinge gibt es keine Vorgaben - nicht dazu, ob in den Kursen ein bestimmtes Sprachniveau erreicht werden soll, ob der Kursus mit einem Zertifikat endet oder welches Lehrmaterial vorgesehen ist. Vorgaben gibt es auch nicht in der Frage, welche Qualifikation die Lehrkräfte haben sollten. "Wir als Träger im Kreis haben uns abgestimmt, dass die Lehrkräfte Erfahrung in der Erwachsenenbildung mitbringen und idealerweise über einen Hochschulabschluss verfügen sollten", sagt Heckersbruch. Allerdings sei es für alle Träger derzeit ein Problem, passende Lehrkräfte zu finden, und natürlich könnten sich Interessenten gern melden.

Athanasios Katsios, der in Waldniel Flüchtlinge unterrichtet, erfüllt die genannten Voraussetzungen als Lehrkraft: Er lebt mit seiner Familie seit zwei Jahren in Viersen, daheim in Griechenland gab er Jugendlichen und Erwachsenen Deutschunterricht. Die Arbeitsbedingungen im Einstiegskursus sind für ihn ungewohnt: "Das ist für mich eine Herausforderung", sagt Katsios, "so ganz ohne Bücher." Lehrmaterial soll noch kommen, meint Heckersbruch zuversichtlich: "Es gibt Unterrichtsmaterial - aber die Verlage sind überfordert, weil im Augenblick alle Material brauchen."

Nach einer Woche haben die Männer und Frauen in Waldniel unter Katsios' Anleitung schon gelernt, W-Fragen zu stellen und zu beantworten: Wie heißt du? Wo wohnst du? Wie viele Geschwister hast du? Sie haben einige Verben kennengelernt, aufgeschrieben, wie sie im Präsens konjugiert werden, und festgestellt, dass einige Verben ihre Tücken haben und man einfach lernen muss, dass es zwar "du kommst" heißt, aber nicht "du arbeitst", sondern "du arbeitest".

Katsios schreibt Wort für Wort auf, seine Schüler schreiben alles von der Tafel ab. "Sie haben großes Interesse, sie wollen lernen", lobt Katsios. Dafür, sagt Katsios, wolle er sein Bestes tun - und das ab der nächsten Woche wahrscheinlich auch mit Hausaufgaben.

(RP)
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