"Verwaltung soll ihre Hausaufgaben machen"

Viersen · Erlebt Viersen die Geburt einer schwarz-grünen Koalition? "Nein!", betonen CDU und Grüne im RP-Interview. Neben dem Haushaltsausgleich 2018 wollen sie ihre Gestaltungsmehrheit aber noch für weitere gemeinsame Projekte einsetzen

"Verwaltung soll ihre Hausaufgaben machen"
Foto: Busch Röse

Die CDU war bislang nicht als Steuer-Erhöhungspartei bekannt. Glauben Sie wirklich, ein Haushaltsausgleich im Jahr 2018 lässt sich ohne Erhöhung schaffen?

Sillekens Es ist nicht an uns, Vorschläge für eine Steuererhöhung zu machen. Wir haben der Verwaltung den Ball ins Feld gelegt, und die Verwaltung sollte jetzt ihre Hausaufgaben machen. Da sitzt eine große Truppe von Profis. Die haben sehr genau im Auge, was geht und was nicht geht, zumindest hoffe ich das. Wir sind ehrenamtliche Kommunalpolitiker. Die Frage muss also lauten: Gibt es andere Möglichkeiten, den Haushalt auszugleichen? Steuererhöhungen wären immer nur die Ultima Ratio.

In seiner Haushaltsrede sprach der Kämmerer von einem Fehlbetrag von 2,9 Millionen im Jahr 2018. Wenn die Steuern nicht erhöht werden sollen, müssten die an anderer Stelle eingespart werden. Wo?

Sillekens Die 2,9 Millionen Euro sind ein alter Stand. Wie der Kämmerer gestern mitgeteilt hat, geht es jetzt noch um 1,8 Millionen Euro. Die freiwilligen Leistungen, die im Haushaltsentwurf ausgewiesen sind, sind nicht vollständig. Darauf hat uns Dezernent Paul Schrömbges hingewiesen. Ich bin interessiert daran zu erfahren: Wo sind uns bisher Informationen über den Umfang freiwilliger Leistungen der Stadt Viersen vorenthalten worden?

Maaßen Die freiwilligen Leistungen umfassen ja nicht nur den Sozialbereich. Auf den wird immer als erstes geguckt. Es gibt ja aber auch in ganz anderen Bereichen freiwillige Leistungen.

Zum Beispiel?

Maaßen Um es ein bisschen provokativ zu sagen: Wirtschaftsförderung ist gut und schön und wichtig und sollte Aufgabe einer Verwaltung sein, klar, ist aber keine Pflichtaufgabe. Es gibt sicherlich auch andere Aufgaben, die wünschenswert sind, wo aber auch ein Hinschauen lohnt, ob man das nicht mit geringeren Ressourcen erreichen kann. Dann schaut man nicht immer nur auf die Freiwilligenzentrale, die jedes Jahr um ihre Mittel kämpft oder die Zuschüsse für die Vereine, die ja im Vergleich lächerlich klein sind. Da muss mal eine strukturelle Klärung her!

Dohmen Es fehlt auch Transparenz, was eine freiwillige Leistung eigentlich genau ist: Nehmen Sie mal das Beispiel Kultur. Die ist eine Pflichtaufgabe der Kommune. Die Frage ist ja, inwieweit man die Aufgabe ausfüllt: Was ist da noch Pflicht, wo beginnt es, eine freiwillige Leistung zu werden? Da ist die Grenze sehr schwimmend.

Maassen Wir erwarten von der Verwaltung, dass sie klar sagt, warum sie diese freiwilligen Leistungen haben will und die Begründungsstränge offen legt. Man muss das doch diskutieren können. Das läuft immer nur intern ab. Die Bürgermeisterin scheut sich, sich zu positionieren. Sie zeigt keine klare Kante, sagt nicht: ,Das will ich', auch wenn's dann Kritik gibt. Da wollen wir mal ein bisschen Druck im Kessel erzeugen.

Sillekens Und die Verwaltung muss mal klar sagen: Über welche Größenordnungen reden wir wirklich bei freiwilligen Leistungen? Und wir haben vielleicht auch die eine oder andere Personalstelle im Moment noch in der Verwaltung, die wir bisher immer mitgetragen haben, bei der wir aber auch fragen müssen: Hat sich da in der Vergangenheit etwas verändert, ist die wirklich für die Zukunft notwendig? Bevor wir diese Dinge nicht auf dem Tisch haben, ist es vollkommen zu früh zu sagen: ,Wir erhöhen die Steuern.' Damit nähmen wir den Druck aus der Diskussion raus, andere Wege zu finden.

Maaßen Wir Grüne haben Steuererhöhungen in einem gewissen Rahmen nie ausgeschlossen. Aber wenn, dann wollen wir die Belastungen nicht nur bei den Viersener Bürgerinnen und Bürgern sehen, sondern auch einen Teil auf die Schultern der Wirtschaft verteilen.

Erklären Sie doch mal, warum Sie aus der Haushaltssicherung so schnell rauswollen.

Sillekens Haushaltssicherung ist eines der Instrumente, den Rat in seinen Möglichkeiten einzuschränken. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Dass eine Verwaltung nur ein gebremstes Interesse daran hat, den Rat in seinen Möglichkeiten auszuweiten, kann ich ein Stück weit verstehen. Wir haben aber kein Interesse daran, unsere Möglichkeiten über Gebühr lange einschränken zu lassen. Zudem hat der Kämmerer klar gemacht, dass es in den kommenden Jahren voraussichtlich schwieriger wird, den Haushalt auszugleichen. Und es besteht die Gefahr, dass wir das Ziel 2022 reißen. Dann haben wir aber mit Zitronen gehandelt, denn dann haben wir einen Sparkommissar hier sitzen, der uns auch noch die letzten freiwilligen Leistungen streicht.

Maaßen Dann geht es ans Eingemachte. Der Rat hat dann keinerlei Entscheidungskompetenz mehr. Der Sparkommissar wird ohne mit der Wimper zu zucken die Steuern erhöhen, in einer Größenordnung, von der wir nicht mal träumen.

Sillekens Da geht's richtig zur Sache. In Nideggen hat der Sparkommissar die Grundsteuer mal eben fast verdoppelt. Solche Größenordnungen will ich in Viersen nicht erleben. Ganz ehrlich: Wenn wir in der jetzigen Situation keinen Druck erzeugen, die Haushaltssicherung zu verlassen, dann haben wir unseren Job falsch gemacht.

Dohmen Ich bin sehr skeptisch, was den Haushaltsausgleich 2022 angeht. Seit acht Jahren wächst die Wirtschaft, aber das wird nicht ewig so weitergehen. Die Krankenhausumlage wird steigen, die Jamaika-Koalition wird den Fonds Deutsche Einheit möglicherweise durch eine Abgabe für strukturschwache Gebiete ersetzen. Sollte das kommen, ist der Haushaltsausgleich 2022 nicht mehr möglich.

Jetzt haben Sie das Schreckgespenst der Zukunft in schillernden Farben an die Wand gemalt. Welche konkreten Vorteile bietet ein Haushaltsausgleich 2018 denn in den folgenden Jahren?

Sillekens Wenn man aus der Haushaltssicherung raus ist, hat man einen größeren finanziellen Spielraum, bevor man wieder rein rutscht. Der liegt bei fünf Prozent des Eigenkapitals.

Das wären rund neun Millionen Euro...

Sillekens Für Investitionen ist das eine Größenordnung, die durchaus interessant sein kann. Und noch einmal: Wir verlagern diese Entscheidung in den Rat. Es sind die Vertreter der Bürgerinnen und Bürger, die über diese Investitionen entscheiden, nicht irgendjemand. Wir kriegen das ja tagtäglich mit, wenn die Bürger auf uns zukommen und über Missstände berichten. In den Schulen zum Beispiel...

Maaßen ...oder bei den Fahrradwegen...

Sillekens Es gibt viele Bereiche, in denen die Bürger uns sagen: ,Hier klemmt's.' Kein Wunder: Hier wird ja seit Jahren gespart. Wir können ja nicht so tun, als wenn in Viersen alles prima wäre. Natürlich wird uns jetzt vorgeworfen: ,Ihr macht Viersen schlecht.' Aber vielleicht sind wir diejenigen, die mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt laufen und die Anderen gucken an den Ecken weg. Das könnte ja auch sein. Und wenn die Bürgermeisterin glaubt, ihr Ring der Möglichkeiten sei begrenzt, dann wollen wir ihr gern mal aufzeigen, was da noch alles geht.

Was geht denn da noch?

Maaßen Das fängt an bei den Radwegen. Es kann ja nicht sein, dass die Technische Beigeordnete sagt, es dauert noch zehn Jahre, bis der Radweg zwischen Dülken und Boisheim gemacht wird. Es kann auch nicht sein, dass wir unter Bedarf ausbilden, weil wir keine Ausbilder haben. Es kann nicht sein, dass wir in den Schulen nur Großprojekte umsetzen, aber eine Toilette nicht renovieren können. Es gibt aber auch Dinge, die kein Geld kosten. Zum Beispiel bei der Frage, wie wir mit der Kinderarmut in Viersen umgehen. Wir brauchen einen "Runden Tisch Kinderarmut". Eine Sozialkonferenz. Wir müssen die Digitalisierung auf den Weg bringen. Warum kann Bürgerbeteiligung bei Bauvorhaben nicht digital mitgestaltet werden? Das kostet nicht ohne Ende Geld, bringt Viersen aber voran.

Wie stehen denn CDU und Grüne zum Vorschlag von SPD und Linken, die Beigeordnetenstelle von Paul Schrömbges einzusparen?

Sillekens Paul Schrömbges und sein Team haben im Sozialbereich hervorragende Arbeit geleistet. Sozialdemokraten und Linke gehen hin und wollen das Sozialdezernat de facto abschaffen. Denn was soll Frau Anemüller - mal fernab der Frage, ob sie bisher die PS auf die Straße bringt - noch alles machen? Die Wirtschaftsförderung will sie jetzt selbst übernehmen. Das ist eigentlich ein Vollzeitjob. Denn was wir bisher erreicht haben, hat uns den vorletzten Platz im Kreis eingebracht. Wenn da in Zukunft mehr passieren soll, muss sie sich da voll einbringen. Das erwarten wir auch. Wo soll dann noch das Zeitkontingent herkommen für Schule, Kultur, Soziales, Partnerschaft, Sport? Was SPD und Linke da fordern, ist ein sozialpolitischer Offenbarungseid. Mir fehlt dafür jedes Verständnis.

Dohmen Nach derselben Logik müssten wir Grünen die Abschaffung des Grünflächenamtes fordern und die CDU die Abschaffung der Kämmerei.

Was ist dran an dem Gerücht, dass Sie Interesse daran haben, Paul Schrömbges' Nachfolger zu werden, Herr Sillekens?

Sillekens Das Gerücht kursiert ja seit mindestens fünf Jahren. Ich kann die Leute nicht daran hindern, Gerüchte in die Welt zu setzen und habe eigentlich gar keine Lust, mich dazu zu äußern. Wichtig ist: Wir brauchen in dem Bereich eine vernünftige Lösung. Wer das nachher ist, entscheidet sich an der Eignung.

Sie stünden nicht zur Verfügung?

Sillekens Ich bin im Moment Lehrer und habe mich, ehrlich gesagt, nie mit der Frage auseinandergesetzt.

Maassen Ich muss da mal ketzerisch zurückfragen: Haben SPD und Linke den Vorschlag nicht nur deshalb unterbreitet, um einen schwarz-grünen Kandidaten zu verhindern?

Beim Haushalt kooperieren CDU und Grüne jetzt. Werden Sie die Kooperation demnächst ausbauen?

Maaßen Der Haushalt ist schon mal ein guter Anfang. Man muss jetzt sehen, was wir mit der Gestaltungsmehrheit noch gemeinsam umsetzen können. Wir werden aber sicherlich keinen Koalitionsvertrag für die nächste Zeit schreiben.

Sillekens Wir führen Gespräche in viele Richtungen, aber es fällt uns in letzter Zeit leichter, mit den Grünen zu Ergebnissen zu kommen. Das Interesse der SPD hat, im Gegensatz zu früher, deutlich nachgelassen. Aber wir haben nichts dagegen, wenn auch Dritte unsere Positionen unterstützen. Sie sind herzlich eingeladen, mitzumachen.

MARTIN RÖSE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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