Rolf Ingenrieth "Viele Vereine, aber keine Schweine mehr"

Viersen · Rolf Ingenrieth, früherer Lehrer und Brudermeister, begeistert sich für die Geschichte von Breyell. Er spürt in seinem zweiten Buch etwa dem Gaststättensterben nach

 Rolf Ingenrieth, der frühere Berufskolleglehrer, hat zur 900-Jahr-Feier 2019 sein zweites Buch über Breyell geschrieben.

Rolf Ingenrieth, der frühere Berufskolleglehrer, hat zur 900-Jahr-Feier 2019 sein zweites Buch über Breyell geschrieben.

Foto: J. Knappe

Herr Ingenrieth, ist es nicht langweilig, ein Buch über ein 900 Jahre altes Dorf zu schreiben?

Rolf Ingenrieth Nein, überhaupt nicht: Die Geschichte von Breyell ist sehr interessant. Um 1800 war Breyell eine der größten und reichsten Gemeinden in der Region. Mönchengladbach hatte damals nur tausend Einwohner, Breyell dagegen bereits 5000. Auch die Gewerbesteuereinnahmen in Breyell waren doppelt so hoch wie etwa in Kempen oder Viersen.

Woher kam dieser Reichtum?

Ingenrieth In Breyell lebten viele clevere Händler. Dabei waren es nicht unbedingt die Kiependräger, die mit ihren Körben und Fuhrwerken Waren transportierten. Sondern es waren Unternehmen wie Goossens, die etwa mit Käse und Leinen handelten.

Sie haben bereits ein Buch über Breyell von der Gründung bis zur Neuzeit geschrieben. In Ihrem neuen Buch "Breyell hukt knäbich" konzentrieren Sie sich auf die vergangenen 100 Jahre. Gab es für Sie als Kenner der Breyeller Geschichte denn überhaupt noch Neues zu erfahren?

Ingenrieth Durchaus. Mehrere Lieder aus Breyell beschreiben das Dorf als Värkesdriverdorf, also als Dorf der Ferkeltreiber. Diese werden auch heute noch im Karneval voller Inbrunst angestimmt. Dabei gibt es in Breyell heute gar kein einziges Schwein mehr. Von den einst 77 Höfen existieren heute gerade noch sieben - und die Landwirte dort bauen Mais an. Was viele auch noch nicht wissen: Leutherheide wurde erst im Jahr 1944 Breyell zugeordnet. Auch der heutige Viersener Stadtteil Boisheim gehörte lange Zeit zu Breyell.

Was waren die auffälligsten Veränderungen in den vergangenen 100 Jahren in Breyell?

Ingenrieth Zum einen die wirtschaftliche Entwicklung und der Umgang mit damals neuen Transportmitteln wie der Eisenbahn. Zum anderen die Veränderung im sozialen Leben. In den 1950er-Jahren gab es in Breyell noch 51 Gaststätten mit insgesamt 13 Sälen. Es ist erstaunlich, wie ein so kleines Dorf wie Breyell eine solche Vielzahl von Sälen füllen konnte. Heute hat sich das Freizeitverhalten vollkommen gewandelt. Das Feierabendbier oder der sonntägliche Frühschoppen werden nicht mehr in der Wirtschaft eingenommen. Heute gibt es in Breyell nur noch eine einzige Gaststätte mit einem Saal.

Wie hat sich Breyell - verglichen etwa mit heutigen Städten wie Mönchengladbach oder Krefeld - im wirtschaftlichen Bereich weiterentwickelt?

Ingenrieth Im Rückblick betrachtet: zu wenig. Manche Chance wurde verkannt. Mönchengladbach hat seine Einwohnerzahl von 1200 auf 120.000 steigern können, Breyell dagegen ist an einem gewissen Punkt hängengeblieben. Das lag an unterschiedlichen Faktoren. Zum einen gab es nicht mehr als zwei große Arbeitgeber, weitere kamen nicht hinzu. Das Stahlwalzwerk Rötzel etwa existiert nicht mehr. Zum anderen verkannte man das Potenzial der Eisenbahnlinie. So gab es seit 1866 eine Bahnverbindung von Venlo über Mönchengladbach nach Köln. Das war ideal, kein anderer Ort hatte das. Doch die Kiependräger nutzten weiter ihre Fuhrwerke und ignorierten die Eisenbahn.

Wenn Sie als Breyeller Ihr Dorf betrachten: Was macht es liebenswert?

Ingenrieth Es sind die Menschen. Das soziale Gefüge ist hier intakt. Im kleinen Breyell gibt es unglaublich viele, aktive Vereine. Dazu gehören etwa Bruderschaften, Förder-, Heimat-, Karnevals-, Martins-, Sport-, Gesang- und Verkehrsvereine ebenso wie Chöre, Briefmarkensammler oder Modellflieger. Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es in mehreren Honschaften auch Theatervereine.

Mehrere Monate haben Sie für das Buch recherchiert, inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. Trotzdem ist es mehr als Ihr Buch....

Ingenrieth Um Datenlücken oder fehlende Statistiken zu kompensieren, habe ich die Erinnerungen und Aufzeichnungen von einigen Zeitzeugen nutzen können. Auch die Buchvorstellung im Oktober und die Präsentationen bei Bücherei-Reihe "Blaue Stunde" sollen nicht langweilige Lesungen, sondern lebendige, szenische Darstellungen mit Moderation werden. Auch das funktioniert nur durch Unterstützer, die ein Herz für ihr Breyell haben - genau wie ich.

DANIELA BUSCHKAMP FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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