Schwalmtal Wachsplättchen erinnern an NS-Opfer

Schwalmtal · In der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Hostert fielen 548 Menschen der Euthanasie zum Opfer. Eine neu gestaltete Gedenkstätte soll die Erinnerung an die Ermordeten bewahren

 Eine Patin zeichnet die Daten eines der Opfer auf die Vorlage - später kommen sie erst auf ein Wachsplättchen, dann auf eine Messingplatte.

Eine Patin zeichnet die Daten eines der Opfer auf die Vorlage - später kommen sie erst auf ein Wachsplättchen, dann auf eine Messingplatte.

Foto: hah

548 Umschläge liegen im Ganges-Zimmer des Rathauses - auf jedem stehen eine Nummer und ein Name. Sie alle werden an diesem Freitagmorgen an Paten verteilt, die die einzelnen Namen auf Wachstäfelchen schreiben. Die Tafeln wiederum dienen als Rohlinge für Bronzeplättchen, die später an der Innenseite der neuen Mauer eingelassen werden, die zur Neugestaltung der Gedenkstätte in Hostert gehört.

Mit der Aktion wollen die Paten und die Initiatorin, Künstlerin Katharina Struber vom Atelier "struber_gruber", an die Menschen erinnern, die in der Heil- und Pflegeanstalt der NS-Euthanasie zum Opfer fielen. Ergänzt wird das Projekt von Vorträgen, die sich mit der Vergangenheit Hosterts und der Anstalt beschäftigen.

Die meisten Paten, die das Ganges-Zimmer betreten, wirken verunsichert. Neben jedem Umschlag gibt es eine runde Wachsplatte, die die Paten vor sich her zum Tisch tragen. Wer den Umschlag öffnet, findet dort drei runde Felder auf einem Blatt. Im obersten stehen Name, Geburts- und Todestag. Die beiden darunter sind frei für eigene Versuche, die Buchstaben und Zahlen unterzubringen. Von vielen Menschen, die an diesem Ort starben, ist kaum mehr als Name, Geburts- und Todesdatum sowie Todesursache bekannt. Viele der Besucher beginnen mit dem Rechnen: Wie alt ist das Kind, der Mann, die Frau geworden? Eine Frau schaut auf das Todesdatum auf dem Blatt vor ihr. "Das ist ja heute", sagt sie leise.

Auch der Schwalmtaler Ratsherr Thomas Paschmanns (CDU) ist unter den Paten. Warum er dabei ist? Er überlegt kurz. "Alles, was man sagen könnte, würde zu pathetisch klingen", sagt er dann - und versucht es doch. "Es ist ein Bekenntnis zur Heimat, ein Bekenntnis zu unserer Geschichte." Denn auch dieser Teil gehöre zu Schwalmtal dazu, wenngleich es ein dunkler Fleck sei.

Wer sich über die Wachsplatten beugt, nimmt den Geruch von Bienenwachs wahr. Dieses hat für Katharina Struber eine besondere Bedeutung: Es stammt von einer Installation, die sie in den 1990er Jahren geschaffen hatte, die mittlerweile aber nicht mehr existiert. Das Wachs aber hat sie gesammelt und anschließend einschmelzen lassen, damit daraus die Rohlinge entstehen konnten.

Zu den Paten gehören auch die Direktorin des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), Ulrike Lubek, und Milena Karabaic, LVR-Dezernentin für Kultur und Landschaftliche Kulturpflege. Der LVR ist die Nachfolge-Organisation der Rheinprovinz. Gerade wegen dieser Vergangenheit sehe sich der LVR "in der Verantwortung, wenn es darum geht, hier einen Ort des Gedenkens auszugestalten", sagt Ulrike Lubek. Durch das Schreiben jedes einzelnen Namens eines Menschen, der hier ermordet wurde, werde deren Anonymität durchbrochen.

(hah)
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