Schwalmtal Wie aus Weißkohl Sauerkraut wird
Schwalmtal · Wer heute eine Dose Sauerkraut im Supermarkt kauft, ahnt nicht, wie viel Arbeit man früher mit der Herstellung von "suure Kappes" hatte. Beim Heimatverein Waldniel wurde der Kohl jetzt eingelegt. Im Dezember kann probiert werden
"Eben geht mit einem Teller Witwe Bolte in den Keller, dass sie von dem Sauerkohle eine Portion sich hole." So beginnt der zweite Streich von Wilhelm Buschs "Max und Moritz". Auch in Waldniel und Umgebung kennt man noch die großen Tonfässer, in denen früher im Keller das Sauerkraut lagerte. Auf dem Fass lag ein Holzdeckel, in ein Trockentuch gewickelt und beschwert mit einem Stein. Später führten viele dieser Fässer ein zweites Leben in Vorgärten - hübsch bepflanzt mit Geranien.
Auch der Waldnieler Heimatverein hat ein solches Fass in seinem kleinen Museum, der Heimatstube an der Niederstraße. Dort hängt eine echte Waldnieler "Kappes-Schaav" an der Wand - eine Art überdimensionaler Gurkenhobel. Der Kohl-Hobel gehörte dem Schmied Johann Schillings von der Marktstraße. Bei ihm konnte man das Gerät im Herbst ausleihen.
Draußen auf dem Hof vor der Heimatstube liegt nun ein neues Exemplar in einer alten Zinkwanne. Der Trend, zu alten Herstellungsweisen zurückzukehren, macht es möglich, dass man solche Geräte wieder kaufen kann. Rund 30 Interessierte haben sich eingefunden, um zu sehen, wie die Sauerkraut-Herstellung funktioniert - und um vielleicht selbst Hand anzulegen.
Die Wanne steht auf einem alten, dreibeinigen Holzbock, damit man eine gute arbeitshöhe hat. Wie wichtig das ist, zeigt sich kurz darauf: Denn zunächst ist unter dem Tonfass kein solcher Bock. Bevor der Kohl ins Fass kommt, muss er über die "Schaav". Klaus Müller, Vorsitzender des Heimatvereins, nimmt einen der zehn Kohlköpfe. Jeder bringt vier bis fünf Kilogramm auf die Waage. Mit einigen gekonnten Schnitten zerlegt Müller den Kohlkopf, schneidet den Strunk heraus.
In großen Stücken legt er den Kohl in das Fach, das über den Hobel geschoben wird. Bei Müller sieht das einfach aus, wie er schiebt, wieder zurückzieht. Unter dem Hobel fällt der Kohl in feinen Streifen in die Wanne. Wer das selbst ausprobiert, stellt fest, dass man erst einmal den richtigen Rhythmus und den richtigen Druck finden muss, um das gleiche Ergebnis zu erzielen. Die Streifen kommen in das Fass. Müller gibt Salz dazu, Lorbeerblätter und Wacholderbeeren. Und dann muss gestampft werden. "Die Struktur des Kohls muss gebrochen werden, sonst saftet er nicht", erklärt Müller. Beim "Saften" bildet sich eine wässrige Flüssigkeit. Dazu nimmt Müller einen hölzernen Stampfer, der einem Fleischklopfer ähnelt. Gleich mehrere Besucher wissen aus alter Zeit auch von anderen Methoden zu berichten: Man habe die blanke Faust eingesetzt. Auf den Bauernhöfen, wo Sauerkraut in großen Mengen hergestellt wurde, habe man auch direkt in der Zinkwanne den Kohl gestampft - mit nackten, möglichst frisch gewaschenen Füßen.
Im Hof der Heimatstube halten die Besucher Schuhe und Strümpfe an. Doch es muss ein zweiter Bock her, um das Tonfass höher zu stellen - das Stampfen geht auf den Rücken, wenn das Fass so tief steht. Direkt neben dem alten Fass steht ein neueres Modell, ein Sauerkrauttopf aus Ton, der an eine griechische Amphore erinnert. Interessant ist der obere Rand: Er bildet eine Rille, in der später Wasser stehen soll.
Müller erklärt, wie es weitergeht. Um den Holzdeckel, der in das Fass hineingelegt wird, schlägt man ein sauberes Leinentuch. Damit dieser Deckel fest auf dem Kraut liegt, immer ein wenig Druck auf die Masse ausübt, wird der Deckel mit einem Stein beschwert. "Wo kriege ich den denn her?", will eine Besucherin wissen. "Aus der Schwalm", sagt Müller augenzwinkernd.
Der Kohl saftet gut - doch plötzlich wird es rund ums Fass nass. Jahrelang wurde es nur zur Dekoration genutzt, es ist undicht geworden. Das Kraut wird in die Amphoren ungefüllt. Dort kommt als Gewicht etwas auf den Kohl, das aussieht wie ein in der Mitte durchgebrochener Mühlstein aus glasiertem Ton. Leinentuch und Holzdeckel braucht man hier nicht. Der Deckel wird aufgesetzt, die Rinne mit Salzwasser gefüllt. Nun ist alles dicht. Das Sauerkraut kann ziehen. Auch das unangenehme wöchentliche Abschöpfen der Flüssigkeit, die sich bei Fässern oberhalb des Holzdeckels absetzt und nicht gut riecht, entfällt bei diesem Modell.
Sechs bis acht Wochen braucht das Kraut, bis der Gärungsprozess abgeschlossen ist. Der Heimatverein will dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen probieren können.