Schwalmtal Wie man als Sänger ein Publikum fesselt

Schwalmtal · Professor Thomas Heyer erklärt in Waldniel den schwierigen Weg zur Sängerpersönlichkeit — anhand bemerkenswerter Gesangsvorträge seiner Studenten und eigener interessanter Erklärungen

 Die Sopranistin Luise Wanninger präsentiert ihre Sangeskunst vor Publikum. Professor Thomas Heyer (Mitte) erklärt mit dem Pianisten Klaus B. Roth, worum es ihm bei der Darbietung geht.

Die Sopranistin Luise Wanninger präsentiert ihre Sangeskunst vor Publikum. Professor Thomas Heyer (Mitte) erklärt mit dem Pianisten Klaus B. Roth, worum es ihm bei der Darbietung geht.

Foto: Busch

"Niemand singt absichtlich schlecht, nicht einmal unter der Dusche." So versuchte Thomas Heyer bei der gut besuchten "Singstunde" im Rahmen des Meisterkurses Gesang im recht warmen Vortragssaal des Bürgerhauses seinen Studenten ein wenig die Spannung zu nehmen. "Der Vortrag vor Publikum ist für die angehenden Sängerinnen und Sänger unverzichtbar - wie sollen sie sonst später auf der Bühne bestehen? Nicht selten bedarf es aber intensiver, auch psychologischer Unterstützung, um den Druck wenigstens ein wenig zu nehmen." Singen sei weit mehr, als schöne Töne zu produzieren. Ein Sänger müsse zu einer Persönlichkeit heranreifen, der in der Lage sei, über das "schöne Singen" hinaus sein Publikum so sehr zu fesseln, dass es "ganz bei ihm und seinem Vortrag ist und dessen Wahrhaftigkeit spürt".

Beim Waldnieler Meisterkurs, der zum vierzehnten Mal stattfindet, genießen die vier Sängerinnen und sechs Sänger die den Leistungen sehr förderliche familiäre Atmosphäre durch das Eingebundensein in Heyers Familie und eine ganze Reihe ortsansässiger Musikfreunde. Dazu kommt der freundliche Umgangston, auf den der Professor an der Frankfurter Musikhochschule trotz aller notwendigen Disziplin ebenso großen Wert legt wie der Pianist Klaus Bernhard Roth.

 Der Bass-Bariton Florian Conze trat im recht warmen Vortragssaal des Bürgerhauses im unkonventionellen Outfit auf.

Der Bass-Bariton Florian Conze trat im recht warmen Vortragssaal des Bürgerhauses im unkonventionellen Outfit auf.

Foto: Busch

Die teils überragenden, nur durch wenige Korrekturen unterbrochenen Gesangsvorträge künden von der Richtigkeit dieses Weges. Da wagt sich eine junge Sopranistin an die höllisch schwere, extreme Höhensicherheit verlangende Arie der Gilda ("Rigoletto" von Verdi). Oder ein erst 20-jähriger Bass-Bariton interpretiert mit dem nötigen Ernst das Lied "Der Wanderer" von Franz Schubert. Francesco Paolo Tosti (1846-1916) war selbst Sänger - entsprechend sanglich sind seine Canzonen, so dass der damit betraute Bariton voller Inbrunst so sehr darin schwelgt, dass Heyer seinen Schüler an bestimmten Stellen zu mehr Pianokultur mahnt.

"Liebe, Du Himmel auf Erden" aus der Lehár-Operette "Paganini" erfordert großen, glühenden Ton und unendlichen Atem. Die faszinierten Zuhörer können kaum glauben, dass die gertenschlanke Sopranistin das alles mit Bravour bewältigt. "Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass es für solche Leistungen einer gewissen Körperfülle bedarf", informiert Heyer das applausfreudige Auditorium. Manchmal begegnet man Sopranistinnen mit berückend warmgetönter Stimmfärbung und gewinnender Ausstrahlung - so war es bei der Sängerin, die die Arie der Marie aus der "Verkauften Braut" von Bedrích Smetana überzeugend interpretierte. Staunenswertes ist auch von einer Mezzosopranistin zu berichten, die eine umfangreiche Arie von Peter Tschaikowsky in französischer Sprache in nur einem Tag lernen musste und auswendig in vollendeter Stimmqualität vortrug. "Das müssen wir von unseren Studenten verlangen, wie sollen sie sonst ganze Partien auf der Bühne durchstehen?", so Heyer zur Erklärung.

Neben einer lebendig und stimmprächtig vorgetragenen Arie des Bartolo ("Figaros Hochzeit" von Mozart) und zweier von edlem Tenorschmelz geadelten Arien aus "Tosca" von Puccini, und "Manon" von Massenet, gab es noch mehr Außergewöhnliches: einen jungen Sänger, der Jahre lang zu seinem Leidwesen an einer anderen Hochschule zum Bariton ausgebildet worden war und der nun - dank Thomas Heyer - zu seiner wahren Profession, nämlich Tenor singen zu können, gefunden hat. Sein "O sole mio" drückte die ganze Freude über diese glückliche Wendung aus.

(oeh)
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