Sabine Anemüller "Wir sind überall erfolgreich"

Viersen · Die Bürgermeisterin über ihre Vision für Viersen und das Nein der CDU zum Haushaltsentwurf

Sabine Anemüller: "Wir sind überall erfolgreich"
Foto: Franz-Heinrich Busch

Die CDU äußert massive Kritik an Ihrem Haushaltsentwurf und will ihn in der vorliegenden Form ablehnen. Auch Die Linke wird traditionell dagegen stimmen, und die Grünen haben sich bisher ebenfalls nicht zu einem Ja durchringen können. Die Mehrheit ist also ernstlich gefährdet. Werden Sie nachbessern?

Anemüller Mit der Ablehnung des Haushalts kündigt die CDU den Konsens auf, dass wir vorsichtig haushalten, um spätestens im Jahr 2022 den Haushaltsausgleich zu schaffen. Der Rat hat, mit den Stimmen der CDU, dazu einen Kreditdeckel beschlossen. Das war die gemeinsame Vision: dass wir endlich aus der Haushaltssicherung herauskommen. Der jetzt vom Kämmerer vorgelegte Entwurf weist zum ersten Mal seit vielen Jahren bessere Zahlen auf als in der Langzeitplanung vorgesehen. Ich persönlich kenne aus meiner Verwaltungserfahrung nur zwei verständliche Gründe für die Ablehnung eines Haushaltes - entweder, weil die Schulden-Obergrenze überschritten wurde. Oder weil nicht verabredete Dinge in den Haushalt eingebracht wurden. Beides ist hier nicht der Fall. Nebenbei stellt die CDU hier unverständlicherweise ihren eigenen Kämmerer bloß, der seiner Aufgabe perfekt nachgekommen ist und einen soliden Haushalt aufgestellt hat.

Allerdings hat der Kämmerer ja, anders als Sie, einen vorzeitigen Haushaltsausgleich angestrebt. Das haben Sie ihm wieder aus seinem Entwurf rausgestrichen.

Anemüller Der Preis dafür wäre eine Steuererhöhung gewesen. Eine Steuererhöhung ist aber nicht mein Ziel; sie käme für mich ausschließlich als ultima ratio in Frage, falls der reguläre Haushaltsausgleich in 2022 wegen derzeit noch nicht absehbarer veränderter Rahmenbedingungen gefährdet wäre.

Die Kritik der CDU ist ja von der Sorge getragen, dass es mit der Stadt nicht richtig vorangeht. Schultoiletten sind so marode, dass sie seit Jahren nicht mehr benutzbar sind. Im vergangenen Jahr sind gerade mal 30 neue sozialversicherungspflichtige Jobs in Viersen entstanden - und die Union mahnt einen Leitgedanken, eine Vision für Viersen an.

Anemüller Der Vorwurf, der Haushalt weise keine Visionen auf, ist mir völlig unverständlich. Dass ich die CDU erinnern muss an all die städtebaulichen Projekte, die ich vorgelegt habe, grenzt an Irrsinn: Die CDU ist in jedem entsprechenden Fachausschuss dabei und hat alle Projekte, Planungen und Vorhaben mitbeschlossen. Alle Vorhaben dienen dazu, unsere Stadt, unsere Stadtteile attraktiv zu gestalten. Ich will Bevölkerung generieren, auf Wachstum setzen, unsere Stadt lebenswert gestalten und erhalten. Mir sind wichtig: Familienfreundlichkeit, Umweltfreundlichkeit, Wirtschaftsfreundlichkeit - und das findet sich alles in diesem Haushalt wieder. Das ist die Vision, die dahinter steckt.

Vielleicht gelingt es uns, das ein bisschen konkreter zu fassen. Thema Städtebau - der CDU-Vorsitzende wünscht sich, dass der Erschließungsring im Jahr 2025 bebaut ist. Was entgegnen Sie ihm?

Anemüller Wenn Herr Achten behauptet, wir kümmern uns nicht um die Grundstücke am Josefsring, zeugt das von Unwissen und Unkenntnis. Er ist kein Ratsherr, daher ist ihm möglicherweise nicht alles bekannt. Vielleicht sollte ihn der CDU-Fraktionsvorsitzende da mal auf den aktuellen Stand bringen. Denn eins ist klar: Da liegt bald nichts mehr brach. Der Startschuss für das Belgische Viertel ist gegeben, die VAB plant gegenüber ihr neuestes Bauvorhaben, der Bahnhof mit seinen P&R-Anlagen ist toll gestaltet. Bebaut wird auch die Fläche im Eckbereich Bahnhofsplatz/Brüsseler Allee, auch die Dreiecksfläche Freiheitsstraße/Josefsring ist für eine Bebauung vorgesehen, sobald sie nicht mehr für die Bauarbeiten am Tiefensammler benötigt wird. Neu gefasst wird die Zufahrt in den Josefsring vom Kreisverkehr Gladbacher Straße aus; die Pläne für eine hochwertige Bebauung auf beiden Seiten werden gerade konkretisiert. Dazu kommen die Bauvorhaben am Lücker Stein und die schon fertig erstellten VAB-Hofgarten-Appartements. Damit ist der Josefsring lückenlos erschlossen.

Was ist mit Süchteln? Viele fürchten: Bis da mal was passiert, ist das Örtchen tot...

Anemüller Die Nahversorgung ist gesichert, seit dort Netto im Ortskern ist. Für Süchteln soll in den kommenden zwei Monaten ein integriertes Handlungskonzept erstellt werden. Das war bisher nicht im Haushalt eingeplant, und natürlich erhoffen wir uns auch hier Fördermittel, ohne die solch ein Riesenvorhaben gar nicht möglich wäre. Wenn Herr Achten meint, dass es zu lange dauert, dann kennt er die Prozesse nicht, die bei solchen Maßnahmen vorzuschalten sind - zum Beispiel die Beteiligung der Bürger. Das ist mir auch wichtig, dass die gut informiert werden und ihre Anregungen und Bedenken zum Ausdruck bringen können - so wie demnächst beispielsweise wieder in Dülken bei der geplanten Umwandlung der Lange Straße. Die Melcherstiege wird dort in Kürze fertig, kommendes Jahr beginnt der Umbau des Alten Marktes. In Dülken passiert eine ganze Menge an städtebaulichen Maßnahmen, übrigens nicht nur durch Fördergelder. Mehr als eine Million Euro investiert die Stadt Viersen aus eigener Tasche dort bis 2021. Scheint die CDU auch übersehen zu haben.

Im Gespräch mit unserer Redaktion hatten Sie vor sechs Wochen angekündigt, dass das Thema Wirtschaftsförderung Chefinnensache werden soll. Haben wir etwas übersehen oder ist die Wirtschaftsförderung schon in Ihren Geschäftsbereich gewandert?

Anemüller Ich werde die Wirtschaftsförderung zum 1. Januar enger an mich binden, von der bisherigen Arbeit bin ich allerdings schon jetzt überzeugt. Der Wirtschaftsplan 2017 sah 1,3 Millionen Euro Umsatz vor, wir werden aber voraussichtlich drei Millionen Euro Umsatz machen - ein Plus von 130 Prozent. Statt knapp 19.000 Quadratmeter Gewerbeansiedlungen erreichen wir mehr als 47.000 Quadratmeter. Und gegenüber einer Zahl von 30 neu geschaffenen Arbeitsplätzen im Jahr 2016 kommen wir in 2017 auf 320 neue Jobs. Hier in der Presse seitens Herrn Achten zu veröffentlichen, es gehe in Viersen nicht aufwärts, entspricht nicht den Tatsachen. Richtig schlimm finde ich, dass er in meinen Augen unsere Stadt schlecht redet. Wir sind überall erfolgreich, es wimmelt von Baukränen im Bereich Wohnen und Gewerbe. Die Zahlen sprechen für sich und Herr Achten geht hin und schlägt um sich. Dass "junge Wilde", wie er sich wohl gerne sieht, das tun ist eines - und manches sehe ich bei ihm tatsächlich seiner Jugend geschuldet -, aber er schadet mit seinen Sprüchen der Stadt und müsste von seinem Fraktionsvorsitzenden an die Hand genommen werden, wenn er Weisheiten in die Welt hinaus pustet, die nicht stimmen und nachteilig für den Ruf unserer Stadt sind.

Wo wollen Sie inhaltlich Schwerpunkte setzen, wenn die Wirtschaftsförderung zu Ihrem Bereich gehört?

Anemüller Ausbildung wird ein großes Thema der Wirtschaftsförderung unter meiner Führung sein. Ich will die Azubi-Abbrecher-Quote reduzieren, Speed-Datings organisieren, Patenschaften initiieren, Technik- und IT-Fortbildungsangebote forcieren. Aus meinen regelmäßigen Unternehmensbesuchen habe ich mitgenommen, dass manche Firmen nicht genügend bekannt sind bei den jungen Leuten, obwohl sie zum Teil Weltmarktführer in ihrer jeweiligen Branche sind. Hier will ich ansetzen und mehr Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Und noch etwas erlebe ich bei meinen Besuchen in den Firmen: Den Unternehmen ist überhaupt nicht klar, warum die CDU so vehement und leider so substanzlos gegen die Arbeit der kommunalen Wirtschaftsförderung wettert, da die Betriebe sehr zufrieden sind mit der Arbeit und dem Service unserer Wirtschaftsförderung. Offen gestanden: Ich kann diese destruktive und augenscheinlich ja wohl persönlich motivierte Kritik nicht mehr ernst nehmen.

Woran hapert's bei den Schultoiletten? Braucht die Stadt mehr Personal beim Gebäudemanagement?

Anemüller Wir investieren bis 2022 insgesamt 15 Millionen Euro in unsere Schulen, davon übrigens zwei Millionen Euro kommunale Mittel. So viel Geld ist an unseren Schulen schon ewig nicht mehr investiert worden. Seit 2016 steigen die Ausgaben in diesem Bereich stetig. Dass insbesondere die Schultoiletten einer Sanierung bedürfen, ist mir auch klar. Auf Grundlage der Förderrichtlinien müssen zunächst die großen Pakete abgearbeitet werden. Wenn es der CDU ernst mit der Sanierung der Toiletten gewesen wäre, hätte sie einen entsprechenden Antrag im zuständigen Fachausschuss stellen können. Das ist nicht passiert. Und in der Tat: Unser Gebäudemanagement geht bei der Vielzahl der Projekte vor Arbeit nahezu unter. Ich habe für den Stellenplan 2017 drei neue Stellen eingebracht, die jedoch aufgrund des angespannten Stellenmarktes noch nicht besetzt werden konnten.

Noch einmal zur ersten Frage, da sind Sie ausgewichen. Bessern Sie den Haushaltsentwurf nach?

Anemüller Mein Kämmerer, ein Mann mit CDU-Parteibuch, und ich haben einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der sich sehen lassen kann. Wenn die Fraktionen Änderungswünsche haben, sollten sie sie konkret benennen. Eine Ablehnung des Entwurfs halte ich für verantwortungslos. Die Konsequenzen treffen alle Bürger: Zuschüsse für die Kultur und den Sport können nicht ausgezahlt werden, Leistungen in der Jugendarbeit sind gefährdet.

MARTIN RÖSE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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