Nach Bombensprengung in Viersen Wo bitte geht's denn hier zur Bombe?

Viersen · Viersen verzeichnet seit der Bombensprengung so viele Besucher wie vielleicht noch nie. Menschen aus ganz Deutschland wollen den Krater in der Innenstadt sehen. Einige Anwohner wehren sich bereits gegen den "Bombentourismus". Die Geschädigten versuchen zur Normalität zurückzukehren.

 Schaulustige am Bauzaun: Um die Verwüstung in der Sprengzone ansehen zu können, reisen nicht nur Viersener an. Auch Menschen aus Krefeld oder Duisburg und sogar aus Hessen blicken auf die Stelle, an der die Bombe lag.

Schaulustige am Bauzaun: Um die Verwüstung in der Sprengzone ansehen zu können, reisen nicht nur Viersener an. Auch Menschen aus Krefeld oder Duisburg und sogar aus Hessen blicken auf die Stelle, an der die Bombe lag.

Foto: Franz Heinrich Busch

Ursula Bauer schaut durch den Sucher ihrer Kamera. "Noch ein kleines Stückchen nach rechts", ruft sie ihren Söhnen Max (7) und Mathias (9) zu. "Sonst sieht man nichts mehr von der Zerstörung." Die 42-Jährige drückt auf den Auslöser. Bombenkrater, Kinder und das Ausmaß der Verwüstung. Alles drauf auf dem Bild für das Familienalbum.

Die beiden Kinder fragen noch, wann sie denn endlich die Bombe sehen könnten. Gar nicht, antwortet die Mutter. Von der sei nichts mehr übrig. "Aber ihr könnt euren Freunden in der Schule sagen, dass ihr an dem Ort wart, wo die Bombe explodierte."

Es sind zum Teil skurrile Szenen, die sich seit vorgestern an der einspurigen Gartenstraße in der Viersener Innenstadt abspielen. Stündlich kommen Hunderte Schaulustige, um sich die Auswirkungen der Sprengung der Weltkriegsbombe anzusehen. Nur ein Gitterzaun trennt die Bombentouristen vom Trichter und den zerstörten Gebäudeteilen, die abgerissen werden müssen.

Die meisten Menschen haben Fotoapparate dabei oder filmen mit ihren Handys. Es sind Eltern mit ihren Kindern, Jogger, Fahrradfahrer und Jugendliche, die sich vor dem Absperrgitter drängeln, um eine Erinnerungsfoto zu machen.

Stephan Jansen und Karin Moll, Betreuer der evangelischen Jugend- und Familienhilfe Viersen, sind mit einigen Kindern aus ihrer Einrichtung an den Ort der Sprengung gekommen. "Die Kleinen wollten die Stelle unbedingt sehen", sagt Jansen. "Sie sprechen über nichts anderes mehr." Auch aus Krefeld, Mönchengladbach, Duisburg und selbst aus Hessen sind Schaulustige angereist. Ein Ehepaar aus Köln, das gerade seinen Wagen abgestellt hat, will von einer Fußgängerin wissen, wo es denn hier zur Bombe gehe?

Einige Anwohner sind bereits von dem Ansturm genervt. "Das ist der absolute Wahnsinn, was hier los ist", sagt Wilfried Moelders, der von seiner Wohnung aus auf den Krater gucken kann. "Die Menschen stehen morgens bis abends bei mir vor der Haustür. Das ist die reinste Touristenattraktion."

Wären die Schaulustigen nicht, könnte man den Eindruck gewinnen, dass in Viersen wieder halbwegs Normalität eingekehrt ist. Die meisten Ladenlokale haben wieder geöffnet. Alle Straßensperren sind aufgehoben. Selbst an der Straße, wo die Bombe detonierte, fahren wieder Busse vorbei. Viele der zerborstenen Fensterscheiben sind schon gegen neue ausgetauscht worden. Wenige Anwohner sind noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt, säubern die Straßen, Fassaden und Dächer vom Dreck, der bei der Detonation der Bombe Hunderte Meter weit durch die Luft geschleudert wurde. Die Menschen sind froh und erleichtert, dass es nicht schlimmer gekommen ist.

Auch die Inhaberin des Geschäfts für Kinderbekleidung, Heike Vonwirth, blickt wieder zuversichtlich nach vorne. Dabei hat es sie am Schlimmsten getroffen. Die Rückwand ihres Geschäfts ist völlig zerstört, ihr Laden noch geschlossen. "Aber die Versicherung hat zugesagt, den Schaden zu übernehmen", sagt sie. "Und wir können auch bald wieder eröffnen."

Dass die Detonation verhältnismäßig glimpflich verlaufen ist, verdanken die Anwohner auch dem mutigen Einsatz von Rolf Stapf. Der 49-Jährige hat unter Lebensgefahr mit seinem Bagger 60 Tonnen Sand auf den Blindgänger geschaufelt, um die Druckwelle abzudämpfen. Angst habe er nicht gehabt. "Man denkt in so einem Moment nicht darüber nach, was man da genau macht", sagt er. "Es war ein einmaliges Erlebnis. Am besten aber war es, als der Sprengsatz später explodierte. Das war ein tolles Gefühl."

Wie gefährlich der Einsatz von Rolf Stapf gewesen ist, verdeutlicht die Aussage von Rolf Vogelbacher, Dezernent für Kampfmittelbeseitigung bei der Bezirksregierung Düsseldorf. "Die Bombe hätte dabei jederzeit detonieren können. Die Gefahr wird erhöht, wenn die Bombe bewegt wird", sagt er. Es musste gesprengt werden. "Hätten wir den Zünder aus der Bombe herausgedreht, hätte das die sofortige Detonation ausgelöst", sagt Vogelbacher. "Solche Fälle kommen aber sehr selten vor."

(ila/rm)
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