Viersen Wo Kinder lernen, ohne Maschine zu atmen

Viersen · 2010 eröffnete neben der Kinderklinik St. Nikolaus das Kinderhaus Viersen. Darin leben 14 schwerst mehrfach behinderte Kinder, die meisten von ihnen müssen beatmet werden. In der Einrichtung erhalten sie neben Pflege auch Förderung - einige zum ersten Mal in ihrem Leben.

 Kleine Schritte ins Leben: Im Kinderhaus hat Daria gelernt, zwei Stunden am Tag selbstständig zu atmen. Die Vierjährige leidet an einer Muskelschwäche.

Kleine Schritte ins Leben: Im Kinderhaus hat Daria gelernt, zwei Stunden am Tag selbstständig zu atmen. Die Vierjährige leidet an einer Muskelschwäche.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

Daria atmet. Das Mädchen liegt in einem großen Kinderwagen im Garten des Kinderhauses. Jedes Mal, wenn Luft in ihre Lungenflügel strömt, ertönt ein leichtes Blubbern. Neben ihrem Kinderwagen steht eine Maschine, die den Sauerstoffgehalt in Darias Blut misst. Er ist gerade hoch genug, um das Kind zu versorgen - obwohl die zweite Maschine neben Daria stillsteht, diejenige, mit der das Mädchen sonst beatmet wird. Ärzte und Pflegekräfte haben lange darauf hingearbeitet, dass Daria manchmal ohne diese Maschine auskommt.

 Bunt und fröhlich: das Bällebad im Kinderhaus.

Bunt und fröhlich: das Bällebad im Kinderhaus.

Foto: bsen

Im Kinderhaus Viersen leben noch 13 andere Kinder. Sie alle sind schwerst mehrfach behindert. Die meisten können wenig oder gar nicht sprechen, nicht laufen, nicht toben. Einige werden sogar hier sterben. Trotzdem ist das Kinderhaus ein fröhlicher Ort. In den Betten der Kinder liegen Stofftiere, auf ihren Regalen steht Spielzeug. Durch große Fenster fällt Licht auf ein Bällebad im Gemeinschaftsraum, auf das Klavier, in das Wellnessbad. "Viele Eltern sind überrascht, wenn sie ihre Kinder hierherbringen. Sie sind von den Intensivstationen etwas anderes gewöhnt", sagt Ingrid Koenen, die pflegerische Leiterin des Hauses.

Fast zehn Jahre lang haben engagierte Viersener - die meisten von ihnen Mitarbeiter der benachbarten Kinderklinik St. Nikolaus - darauf hingearbeitet, dass das Kinderhaus entsteht. Sie waren immer wieder kleinen Patienten begegnet, die Jahr um Jahr in Krankenhäusern lebten, weil ihre Angehörigen sie zu Hause nicht versorgen konnten. In den Kliniken war Zeit, um ihre Krankheiten zu behandeln. Zeit, um die Kinder zu fördern, fehlte. Der Umgang mit ihnen war von Vorsicht geprägt, von Sterilität. Im Kinderhaus dagegen begrüßt Charlie alle Besucher und Bewohner, die durch die große Tür eintreten. Gerade kaut der Therapiehund auf einem Stock aus dem Garten, Rinde blättert auf den Boden. Koenen lacht, bevor sie einen Kollegen bittet, das Malheur wegzuputzen. "Wir wollen den Kindern hier Normalität vermitteln", sagt sie. Einige Eltern verlören erst im Kinderhaus die Furcht davor, im Umgang mit ihrem Kind etwas falsch zu machen.

Eröffnet wurde das Haus vor vier Jahren. Pflege macht wie in den Kliniken auch hier einen großen Teil der Arbeit von Koenen und ihren Kollegen aus. Aber auch die Förderung nimmt einen wichtigen Platz ein. Die Kinder können hier Klang- und Bewegungstherapien machen, sie erhalten Schaummassagen, gehen spazieren, und freiwillige Helfer lesen ihnen Bücher vor. All das hilft ihnen dabei, sich weiterzuentwickeln.

Daria schafft es dank Förderung und Pflege inzwischen, manchmal selbstständig zu atmen. Schon bei ihrer Geburt vor vier Jahren litt das Mädchen unter einer Muskelschwäche. Die Ursache dafür ist unbekannt, ebenso, wie man die Krankheit beheben kann. Fest steht nur, dass die Kraft des Kindes lange nicht ausreichte, um Luft in ihre Lungen zu pumpen. Als Daria vor zwei Jahren ins Kinderhaus einzog, brauchte sie rund um die Uhr die Hilfe von Maschinen. Heute atmet sie bis zu zwei Stunden am Tag ohne Hilfe.

Manche der Kinder können eines Tages wieder zu ihren Familien ziehen. Die Mitarbeiter im Kinderhaus bringen vorher den Eltern bei, wie man die Beatmungsgeräte benutzt und reagiert, wenn etwas kaputt geht. Allein die Vorbereitung auf den Umzug dauert ein halbes Jahr. Aber Koenen und ihre Kollegen freuen sich, wenn sie den Eltern helfen können, wieder normal mit ihren Kindern umzugehen - und gemeinsam mit ihnen zu leben.

(RP)
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