Serie "Auf einen Kaffee in ..." (5) Wo selbst fremde Hunde freundlich sind

Viersen · Der Bäcker, die Kirche, der Sportverein . . . Die Nettetaler kennen ihre Ortsteile. Aber wie würde ein Fremder sie wahrnehmen, wenn er dort auf einen Kaffee hält? Aus der Perspektive stellen wir Nettetals Stadtteile vor. Heute: Kaldenkirchen.

 Vor der katholischen Pfarrkirche St. Clemens sitzt der Zigarrenmacher. Er erinnert an die einst florierende Tabak- und Zigarrenindustrie in der Stadt.

Vor der katholischen Pfarrkirche St. Clemens sitzt der Zigarrenmacher. Er erinnert an die einst florierende Tabak- und Zigarrenindustrie in der Stadt.

Foto: Busch

Vorsicht Fahrrad! Wer in Kaldenkirchen vor die Tür tritt, muss verschärft mit Radfahrern rechnen. Schließlich ist die Grenze zu den Niederlanden keine drei Kilometer entfernt. Der Einfluss der Nachbarn, die energisch bei Wind und Wetter, in Jeans, Anzug oder Kostüm in die Pedale treten, ist deutlich spürbar. An der Zunahme der Zweiräder im Straßenverkehr, aber auch an der Offenheit der Menschen im Ort. Es ist schwer, ein Geschäft oder ein Café zu betreten, ohne ein paar nette Worte zu wechseln. Kein Städtchen für Muffelköppe also.

Das Eiscafé Zalivani ist auch am Montagmorgen schon gut besucht, allerdings ohne jegliche Wir-starten-in-die-Woche-Hektik. Der eine nippt am Espresso, der andere knabbert am zweiten Frühstück. Ja, Eis gibt es hier, aber auch mehr. Seit 1959 verkaufen die Italiener aus den Dolomiten an der Kehrstraße Eis. "Ein Familienbetrieb in der dritten Generation", sagt Maria Luisa Zalivani. Sie selbst lebt seit 32 Jahren in Kaldenkirchen und ist noch meilenweit davon entfernt, eine alteingesessene Kaldenkirchenerin zu sein.

"Ich lebe gern hier", sagt die 52-Jährige. "Der Ort liegt mitten in der Natur, hat ein schönes Zentrum, Sauna, Schwimmbad, Kino, Bahnhof, eine gute Verkehrsanbindung. Alles, was man braucht", sagt die Geschäftsfrau. Aber vor allen Dingen gebe es hier den "menschlichen Bezug". "Wissen Sie, ich komme selbst aus einem Dorf in den Dolomiten, und ich würde nicht in einer anonymen Großstadt leben wollen." Gerade bei schönem Wetter kommen viele Leute her, Radler, Ausflügler, darunter viele Niederländer, die es zum Einkaufen über die Grenze zieht. Seit in den Niederlanden die Preise für Lebensmittel angezogen haben, ist Kaldenkirchen für sie nicht nur hübsch, sondern auch günstig.

"Es ist ja auch ansprechend hier, schöne Geschäfte, hübsche Häuser", sagt Zalivani. - "Aber ein Lebensmittelgeschäft im Zentrum für ältere Leute - das fehlt!", schaltet sich eine Dame vom Nachbartisch ein. - "Überhaupt hat das Stadtmarketing eigentlich alles verkehrt gemacht", sagt die Freundin der Dame vom Nachbartisch. Und schwupps entspannt sich eine lebhafte Diskussion über Stadtplanung.

Man hätte die großen Supermärkte nicht an den Ortsrand auslagern dürfen, weil das die Laufkunden aus dem Zentrum zieht, argumentiert Vera Laakmann, die jüngere der beiden Damen, die im Ort einen Friseursalon betreibt und an diesem Montag gerade im Eiscafé frühstückt. "Aber die Leute wollen mit dem Auto die großen Einkäufe erledigen", hält Zalivani dagegen.

"Vom schönen Wetter allein kann man nicht leben. Wir brauchen Laufkundschaft. In drei bis vier Jahren sehe ich hier schwarz. Da steht jetzt schon viel leer, und viele familiengeführte Geschäfte haben keine Nachfolge", sagt Laakmann. Während der Diskussion steht ihr Hund Carlos schwanzwedelnd unterm Tisch und begrüßt freundlich jeden Besucher.

"Und wer macht etwas für ältere Menschen? Es gibt zu wenig altengerechte Wohnungen und zu wenig Veranstaltungen für uns", erklärt Miriam Kamper, die Freundin von Vera Laakmann. "Ich liebe Kaldenkirchen, deshalb hätte ich ja gern, dass mehr für uns getan wird", sagt die 77-Jährige.

Dabei sei Kaldenkirchen kein vergreistes Dorf, sagt Zalivani. "Viele Studenten aus ganz Deutschland kommen her, um in Venlo zu studieren. Und das ist gut so, sie bringen Leben in die Stadt." Rund 500 Studenten leben in Kaldenkirchen. Die gebürtige Italienerin lacht über die lebhafte Debatte. "Das Café ist das auch ein soziales Netz."

Außerhalb geht es beschaulich zu. Mütter mit Kleinkindern, eine Schulklasse, Ausflügler, Rentner, ältere Ehepaare machen zusammen Einkäufe. Berthold Heschel (66) steigt aufs Rad, er war gerade beim Bäcker. "Ich wohne in Tegelen, aber ich komme drei bis vier Mal pro Woche her. Es ist gemütlich. Man sitzt nicht lang allein", sagt der gebürtige Duisburger. Auch Heinz-Willi Verstegen (60) lebt gern in Kaldenkirchen. Nur das Industriegebiet Venete gefällt ihm nicht: "Gerade mal ein Unternehmen baut da, aber das Gebiet ist die ganze Nacht hell beleuchtet", schimpft er. Wenn der Niederrheiner tatsächlich sein Herz auf der Zunge trägt, dann liegt Kaldenkirchen am tiefsten Niederrhein. Selbst beim Bäcker geht man nicht ohne nette Worte raus: Kaum hat man dort nach einer Straße gefragt, da ertönt es hinter einem: "Welche Hausnummer? Wo müssen 'se denn hin?" Mit exakter Wegbeschreibung verlässt man das Lokal und muss nur aufpassen, nicht von einem energisch strampelnden Radfahrer überrollt zu werden.

(RP)
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