Rp-Serie "sie Zogen In Die Welt Hinaus" (10): Clemens Bellut Ein Spitzenbuchhändler Deutschlands

Erkelenz · Der in Erkelenz geborene und in Myhl aufgewachsene Clemens Bellut betreibt am Heidelberger Kornmarkt die kleine, aber besondere Buchhandlung "artes liberales". Kürzlich wurde Bellut mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet.

 Blick durchs Schaufenster der kleinen Buchhandlung von Clemens Bellut in Heidelberg, die sich dort am bekannten Kornmarkt befindet.

Blick durchs Schaufenster der kleinen Buchhandlung von Clemens Bellut in Heidelberg, die sich dort am bekannten Kornmarkt befindet.

Foto: Bellut

Myhl Auch wenn es nach eigener Aussage "nie ein vorgesetztes Programm für mich war", sieht Clemens Bellut den Aphorismus "Wir haben keine Chance - nutzen wir sie" doch als eine Art roten Faden durch seine autobiografische Fortsetzungsgeschichte. Die begann am 12. Februar 1956 in Erkelenz auf dem Lambertusweg, wohin es seine Eltern Elisabeth und Heinrich Bellut von Düsseldorf-Himmelgeist mit Familie (noch zwei Geschwister) verschlagen hatte, 1958 nach Wassenberg-Myhl weiterführte, und Clemens' vorläufig letzte Station ist nun Heidelberg. In der Universitätsstadt gehört der Betreiber der winzigen Buchhandlung "artes liberales" am altstädtischen Kornmarkt nun höchstdekoriert offiziell zu den drei besten Buchläden in Deutschland, die 2015 mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichneten wurden.

 Kulturstaatsministerin Monika Grütters (v.li.) zeichnete die besten deutschen Buchhändler Regina Moths, Ingrid Roeder und Clemens Bellut in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main aus.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (v.li.) zeichnete die besten deutschen Buchhändler Regina Moths, Ingrid Roeder und Clemens Bellut in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main aus.

Foto: Ralph Orlowski

Dieser erstmals ausgelobte Preis, um den sich bundesweit 614 Buchhandlungen beworben hatten, war von Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main verliehen worden. Grütters: "Kleine, inhabergeführte Buchhandlungen sind im Online-Zeitalter unverzichtbar für die Vielfalt unserer Buchkultur. Jenseits von Bestsellerlisten präsentieren sie auch solche Bücher und Autoren, die abseits vom Mainstream Aufmerksamkeit verdienen".

Clemens Belluts "artes liberales" weckt das Interesse seit 2013 auf nur 20 Quadratmetern, "wo nichts so sein sollte wie in den heute gängigen Buchläden". Was geglückt scheint, denn der Treffpunkt der alten und jungen, der wissenschaftlichen und künstlerischen, der bürgerlichen und akademischen, der nahen und ausländischen Besucher hat die Jury überzeugt.

Deren Findung wurde aber wohl auch von Belluts zweitem Standbein "artes liberales universitas" beeinflusst, das man nur einen Steinwurf entfernt auf der Mittelbadgasse zu Lesungen, Vorträgen, Diskussionen und Koloquien findet. Der Deutsche Buchhandlungspreis ist in der Dreierspitze (weitere Preisträger kommen aus München und Merzig/Saarland) mit einem Gütesiegel und je 25.000 Euro dotiert. Weitere fünf Buchläden bekamen je 15.000 Euro, zudem gab es einhundert Mal 7000 Euro.

Dass Clemens Belluts Weg irgendwann einmal bis in die Champions League der deutschen Buchhändler führen würde, das wäre - um mit Jean Paul zu reden - in der "Selberlebensbeschreibung" vermessen. Am nächsten käme da wohl Ende der 1950er Jahre/Anfang 1960er Jahre das Leben im katholischen Kindergarten der Wassenberger Oberstadt, "in dem Schwester Theopista aus dem Waldkloster uns herzliche Wärme in ihrem Herzen einräumte". Äußerlich waren es die Schwalbenhaube als Kopfbedeckung, vor allem aber ihr Montblanc-Füllfederhalter, der faszinierte: "Den ich mir in ähnlicher Ausführung später von meinem ersten verdienten Geld selbst gekauft habe und bis zum heutigen Tag als Schreibgerät stets mit mir führe".

Die Myhler Volksschule weckt "strengzüchtige Erinnerungen", Ausnahme die pensionierte Aushilfslehrerin Frau Jansen aus der "Pudding-Siedlung", die Heiligenbildchen zur Belobigungsskala erhob. Einerseits gehörten zur schönen Kinderzeit Spiel, Spaß und winterliche Schlittenfahrten in der "Myhler Schweiz" oder auf der noch nicht geteerten Hochfeldstraße. Andererseits war es aber auch eine dunkle und schwere Zeit mit vielen materiellen Spuren des Krieges (gesprengte Bunker, Munitionshülsen im Boden), dunklen, kriegsverstörten Gestalten und Gesichtern, die Kirche voll mit schwarz gekleideten Menschen, einem polternden Predigerton, vielen Kriegsverletzten, Flüchtlingen, Vertriebenen und Spätheimkehrern. Auch das beschauliche Landleben offenbarte also Schattenseiten.

Die sich für Clemens Bellut dann 1968 allmählich aufhellten - er wechselte zum neusprachlichen Jungengymnasium der Stadt Erkelenz, dem heutigen Cusanus-Gymnasium. Ein schlechter, unaufmerksamer, eher ängstlicher Schüler, für den es kaum Möglichkeiten zu außerschulischen Treffen gab. Die verhinderte nämlich der zwölf Kilometer lange Weg zur Schule und wieder nach Myhl zurück. Alles änderte sich schlagartig in den letzten Gymnasialjahren: "Mathematik- und Physiklehrer Wolfgang Hündgen war der erste erwachsene Mensch, von dem ich mich ernst genommen fühlte." Von heute auf morgen waren Dreien und Vieren Geschichte, dank methodischem und praktischem Denken und Arbeiten waren es nun Zweien und Einsen.

Physik, Philosophie oder Musik waren die angedachten Studiengänge. Doch der Kopf wollte es anders: 21 Monate Bundeswehrdienst. Aber nicht an der Waffe, sondern in Siegburg beim Stabsmusikkorps an der Querflöte: "Wo ich dann allen politischen Größen dieser Zeit den Marsch geblasen habe." Auch mit gelegentlichen Besuchen von Bundespräsident (1974-79) Walter Scheel ("Hoch auf dem gelben Wagen").

Für Clemens Bellut war die Bundeswehrzeit Spurwechsel zu einer neuen Leidenschaft: Hoelderlin, Goethe, Hermann Broch, Lessing, Shakespeare, Albert Camus, Jean Paul ... . Er erklärte das Urteil seiner Deutschlehrer für null und nichtig, schrieb sich in Bonn für Germanistik, Philosophie und Ethnologie ein: "Das Studium war für mich das Tor zur großen Welt des Geistes." Was an der Uni Tübingen vertieft wurde mit dem Magister-Abschluss und nachfolgend einer Doktorschrift zur Frage nach dem Ursprung in der deutschen Romantik.

Absonderliche Zufälligkeiten waren es, die Clemens Belluts Weg nun die Richtung vorgaben: 1989-1993 Berater beim Vorstandsvorsitzenden der Frankfurter Flughafen-Gesellschaft, danach freier Organisationsberater und Rückkehr nach Bonn der Liebe wegen, die dann gescheitert ist "und manches andere mit sich gerissen hat". Schließlich bis 2006 Lehrer der deutschen Sprache für Einwanderer, Flüchtlinge und Migranten in Frankfurt/Main, "eine am meisten erfüllende Tätigkeit meines bisherigen Lebens". Über finanzielle Engpässe halfen gelegentliche Lehraufträge an Hochschulen in Stuttgart, Ilmenau und sogar Berlin.

2006 kam der Ruf eines Freundes: Mit Ruedi Baur, der als anerkannter Designer in Zürich an der Hochschule der Künste (ZhdK) das Forschungsinstitut für Designforschung gegründet hatte, entwickelte Bellut in Verbindung mit Stefanie-Vera Kockot "Design2context" weiter, ehe dieses Institut 2012 als Folge eines Rektoratswechsels "zum Abschuss" freigegeben wurde. Da zeitgleich auch Belluts Wohnhaus in Wollishofen zum Abriss freigegeben war, "musste, konnte, durfte ich mir einen neuen Lebensort suchen".

Dass es Heidelberg wurde, ist purer Zufall, eine frisch restaurierte Wohnung am schönsten Platz der Altstadt beschleunigte die Entscheidung. Und die Idee der Gründung eines kleinen philosophischen Buchladens, "in dem nichts so sein sollte wie in den allgemein gängigen Buchläden", hatte ihren Nährboden in studentischer Eigenerfahrung und war 2013 am Kornmarkt umgesetzt - "ist definitiv geglückt", wie Clemens Bellut nicht ohne Stolz sagt. Der Deutsche Buchhändlerpreis ist für ihn nicht nur persönliche Bestätigung und hochkarätige aktuelle Würdigung, sondern auch ein Teil eines facettenreichen Lebensweges, der vor fast 60 Jahren im Erkelenzer Land begann. Verbindungen dorthin sind nach dem Tod der Eltern (die Geschwister leben in Aachen und Brühl) eigentlich nur noch nostalgisch in Bezug auf Myhl wegen der Vorlieben für hügelige Umgebungen.

Hat ihn jemand an seinem aktuellen Lebensort gefragt, woher er komme, hat er ganz unprätentiös immer den vorherigen Lebens- und Wirkungsort genannt. Das hat in Heidelberg mit der Antwort "Zürich" dazu geführt, das er gleich als Schweizer angesehen wurde. Übrigens nicht ganz fern vom Ursprung: Clemens Bellut hat unauslöschliche Erinnerungen an die umtriebige Kinderzeit in der hügeligen "Myhler Schweiz".

(h.g.)
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