Wassenberg/Heinsberg Wahlstreit: Thissen freigesprochen

Wassenberg/Heinsberg · Wassenbergs zweiter stellvertretender Bürgermeister musste sich gestern vor dem Amtsgericht verantworten. Er hatte Widerspruch gegen den Vorwurf der "Urkundenunterdrückung" bei der Kommunalwahl 2014 eingelegt.

 Erleichtert nach dem Freispruch im Amtsgericht: Hermann Thissen mit Ehefrau Anke.

Erleichtert nach dem Freispruch im Amtsgericht: Hermann Thissen mit Ehefrau Anke.

Foto: Angelika Hahn

Tränen flossen. Sichtlich erleichtert nahm Wassenbergs zweiter stellvertretender Bürgermeister Hermann Thissen (SPD) gestern nach dreieinhalbstündiger Verhandlung vor dem Amtsgericht Heinsberg seinen Freispruch vom Vorwurf der Urkundenunterdrückung entgegen. Nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" seien die Aussagen Thissens nicht zweifelsfrei zu widerlegen, sagte Richterin Herzog.

Mit der Verhandlung fand der Kommunalwahlkampf 2014 ein Nachspiel vor Gericht. Thissen hatte nämlich Einspruch erhoben gegen einen Strafbefehl wegen "Urkundenunterdrückung". Der Vorwurf: Der Polizeibeamte bei der Bundespolizei soll für eine Rentnerin (72) aus Birgelen Briefwahlunterlagen geholt haben, die Frau dann bei der Ausübung ihres Wahlrechts für die Europa- und Landratswahl gehindert haben, indem er Wahlunterlagen im Beisein der Betroffenen zerrissen habe. Das Zerreißen stritt Thissen auch gestern nicht ab, bekräftigte aber, dies nicht gegen den Willen der Wählerin getan zu haben. Die hatte dies in einer Eidesstattlichen Erklärung so dargestellt - die war von Peter Weyermanns, CDU-Ratsmitglied, aufgesetzt und von der Frau unterschrieben worden. Doch davon später mehr.

Thissen erzählte, die Rentnerin kenne er seit Kindertagen, in den letzten Jahren habe er - auf ihre Bitte hin - viele Erledigungen und Versorgungsfahrten für sie unternommen. Er habe ihr nur gesagt "Ich rate dir, die Wahlzettel, die du nicht ausfüllen willst, zu vernichten". Damit solle Missbrauch vorgebeugt werden. Im übrigen sei er, als die Rentnerin Stimmzettel ankreuzte, in die Küche gegangen und habe sie nicht aufgefordert, ihm seine Stimme zu geben. Erst nachdem die Zeugin ihm gesagt habe, sie kenne die Kandidaten für die Europa- und Landratswahl nicht und könne deshalb nichts ankreuzen, habe er die Vernichtung der Zettel empfohlen. Die Wählerin habe zugestimmt.

Die sichtlich überforderte Betroffene, die sich an vieles nicht mehr erinnern konnte, sagte gestern zunächst, sie hätte die Wahlzettel beiseitegelegt, um sie noch mal lesen zu können. Später klang das eher vage: Sie habe sich nicht geärgert über das Zerreißen, es sei ihr eigentlich egal gewesen. "Ich wusste ja nicht, ob ich wählen würde." Anschließend stritt die Senioren dann jedoch fast alles ab, was sie in der Eidesstattlichen Erklärung unterschrieben und der Polizei zu Protokoll gegeben hatte. Tenor: Sie sei nie böse oder verärgert auf Thissen gewesen, dessen Hilfsbereitschaft die schwer gehbehinderte Frau gern und auch nach der Wahlaktion noch in Anspruch genommen habe. Kontakt hatte sie aber auch zum CDU-Ratsherrn Karl-Heinz Dohmen, der sie bei früheren Wahlen unterstützt hatte, ebenso wie zu seinem CDU-Ratskollegen Peter Weyermanns, die sich beide um eine defekte Mauer an ihrem Haus kümmern sollten. Dabei habe ihnen die Rentnerin Thissens Vorgehen voller Ärger geschildert, sagten die beiden Zeugen aus. Zuvor habe sich die 72-Jährige auch bei einem Kindergartenfest in Birgelen schon lautstark über Thissen beschwert, hatten beide zu Protokoll gegeben. Die Rentnerin wollte gestern davon aber nichts wissen. "Ich habe mit keinem gesprochen."

Weyermanns und Dohmen hatten die zerrissenen Wahlzettel aus der Papiertonne gefischt - angeblich mit Zustimmung der Rentnerin - und sie zusammen mit der von Weyermanns aufgesetzten Eidesstattlichen Erklärung im Rathaus abgegeben.

Dass der Fall lokalpolitischen Streit zum Hintergrund hat, spürten Richterin und Staatsanwältin, die zunehmend unwirsch allen Zeugen die Widersprüche ihrer Aussagen vorhielten. "Ich weiß nicht mehr, wem man hier noch glauben kann", sagte die Staatsanwältin und fühlte sich ans Prinzip "stille Post" erinnert. "Jeder macht etwas dazu." Auf die Frage, ob sie sich bei Unterschrift der Erklärung unter Druck gesetzt fühlte, antwortete die Seniorin ausweichend: "Ich habe mit keinem Streit." Weyermanns und Dohmen mussten sich fragen lassen, warum sie die Zeugin nicht umgehend zur Polizei begleitet hätten, statt ihr selbst eine Erklärung zur Unterschrift zu formulieren.

(RP)
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