Wassenberg Zwischen Kreidetafel und Smartboard

Wassenberg · Lehrer zweier Generationen im Gespräch über Veränderungen von Schule, Schülern und Lehrerrolle. Digitale Medien sind die Zukunft, sie werden den überzeugenden Lehrer aber nicht ersetzen, sagen Rosemarie Heisters und Peter Keller.

Wassenberg: Zwischen Kreidetafel und Smartboard
Foto: Laaser, Jürgen (jl)

Sie freut sich, durch ihre Aktivität in der Referendar-Ausbildung "immer am Ball geblieben zu sein bei dem, was es Neues in der Lehrerausbildung gibt", und er profitiert von der 40-jährigen Lebens- und Berufserfahrung seiner Kollegin: Eine Generation liegt zwischen Rosemarie Heisters (63) und Peter Keller (36), den beiden Klassenlehrern der 10.3 der Betty-Reis-Gesamtschule. Mit der kooperativen Klassenleitung, bei der sich jüngere und ältere Kollogen ergänzen, hat die Schule die besten Erfahrungen gemacht, erläutert Rosemarie Heisters, und ihr Kollege nickt zustimmend. Das Duo, das seit sechs Jahren zusammenarbeitet, erscheint von daher geradezu prädestiniert dafür zu sein, über Schule, Schüler und die Lehrerrolle früher, heute und in Zukunft zu sprechen.

"Ich war 21, mein ältester Schüler 17, als ich 1973 meine erste Stelle als Hauptschullehrerin in Mannheim antrat", erinnert sich die Kleingladbacherin Heisters lachend. "... ich 28", ergänzt Keller, den Zeitsprung bis 2010 verdeutlichend, in dem sich Lebensumfeld und Studienbedingungen drastisch verändert haben. Heisters ist noch ein "Kind" der PHs, der Pädagogischen Hochschulen der 60er/70er Jahre für künftige Grund- und Hauptschullehrer - Keller gehörte zum ersten Bachelor/Master-Studienjahrgang, der bislang letzten Kurskorrektur in Sachen Lehrerstudium. Für jüngere Kollegen - und erst recht die heutigen Schüler(innen) - kaum mehr nachvollziehbar ist eine Schul- und Studienzeit komplett ohne PC und Internet, wie Heisters sie noch erlebt hat. Der bei der Jugend gleichsam mit der Hand zusammengewachsene Kleincomputer namens "Handy" war aber selbst in Kellers Schulzeit noch undenkbar.

Für Heisters war früher noch der Frontalunterricht selbstverständlich, Experimente in Physik oder Chemie machten die Lehrer vorne der Klasse vor. Gruppenarbeit, damals noch eine Besonderheit, entwickelte sich methodisch immer weiter bis zum heute in der Betty-Reis-Gesamtschule selbstverständlichen "kooperativen Lernen". Medien im Unterricht, so erinnert sich Heisters, waren in ihren Anfängen als Lehrerin allenfalls Lehrfilme, die per Zelluloid-Filmrolle angeliefert wurden und über Projektor abgespielt wurden. Heute ist sie, auch durch den Kontakt mit den jungen Kollegen, die sie aus- und fortgebildet hat, aber auch durch ihre eigenen Kinder, wie sie lachend bekennt, ganz ordentlich firm in der digitalen Welt. Sie kommuniziert mit ihrer Klasse über die eigene WhatsApp-Gruppe und lässt im Unterricht hier und da - nach Ansage - die Schüler per Handy recherchieren. Grundsätzlich gilt in der Betty-Reis-Gesamtschule nämlich ein Verbot privater Handy-Nutzung.

Das macht auch für den jüngeren Kollegen Peter Keller Sinn. "Der Grund für diese Regelung war vor etwa sechs Jahren eine deutliche Zunahme des Cyber-Mobbings unter den Schülern", erläutert Keller. Themen des sozialen Umgangs miteinander und Probleme durch die Abhängigkeit von neuen Medien sind auch Themen im Unterricht, erläutern beide Lehrkräfte. In den Klassenlehrerstunden kommen einmal pro Woche solche Probleme auf den Tisch. Obwohl Heisters die autoritäre Rolle der Lehrer(innen) anno dazumal, vor denen man in Respekt fast zu erstarren hatte, nicht wiederhaben möchte, werde auf respektvollen Ton den Lehrern und Mitschülern gegenüber Wert gelegt. "Darauf bestehen wir."

Lehrersein, so Heisters, bedeute neben der reinen Wissenvermittlung in jüngster Zeit immer mehr auch, eine Erzieher- und Sozialarbeiterrolle mit zu übernehmen. Denn die Schülerschaft hat sich mit der Gesellschaft und ihrer Informations- und Angebotsüberflutung gewandelt. "Wir hatten noch nie so viele Schüler(innen) mit Therapiebedarf wie heute", konstatiert Heisters. Konzentrationsschwächen und Überaktivität haben zugenommen. "Dass Schüler nachmittags sechs Stunden am Computer verbringen, ist keine Seltenheit", weiß Keller. Beide Lehrer spüren, dass die Leselust nachgelassen hat, der Wortschatz etlicher Schüler eingeschränkter geworden ist, modische Sprachkürzel und PC-Slang sich auswirken. Auch die geänderten Familienstrukturen zeigen Folgen im Schulalltag. Die Pädagogen erleben ein Kontrastprogramm zwischen einem Überbehütet-Sein durch die viel zitierten Helikopter-Eltern bis hin zu ausgeprägtem familiärem Desinteresse am Schulalltag der Kinder.

Sportlehrer Keller ist natürlich mit neuen Medien vertraut und möchte sie nicht mehr missen, dennoch spürt er im Sportunterricht die Auswirkungen übertriebenen Internet-Konsums in der deutlich eingeschränkten Motorik etlicher Schüler(innen). Und er appelliert an Eltern, PC-Hocker "auch mal rauszuwerfen an die frische Luft, in die Natur zu Sport und Spiel". Die Feinmotorik fördere auch das handschriftliche Schreiben, sagt Keller, daher sollte es auch in Zukunft nicht aus dem Unterricht verschwinden. Auch die klassische, mit Kreide zu beschriftende Tafel, gut für die kurze anschauliche Erläuterung, schreiben beide Kollegen trotz der Verbreitung der Whiteboards, der digitalen Tafeln, längst noch nicht ab.

Dennoch sehen sie in Zukunft die Smartboards ebenso wie Tabletnutzung und PC-Klassen auf dem Vormarsch. "Ich wünsche mir auch die Möglichkeit der Video-Analyse im Sportunterricht", sagt Keller. Und er hofft auf eine stärkere Verzahnung des Ganztagsunterrichts mit der Arbeit etwa der Sport- und Musikvereine.

Dass der Lehrer oder die Lehrerin "auf zwei Beinen" einmal komplett von digitalen Lernprogrammen ersetzt werden könnten - daran allerdings glauben beide nicht.

(RP)
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