Serie Pape läuft (Folge 12) Fango ohne Rezept

Beeck · Die Wetterkapriolen der vergangenen Wochen machen es dem Marathon-Novizen Christian Pape im Training nicht gerade leicht.

 Marathontraining ist kein Zuckerschlecken: Hobbyläufer Christian Pape landete unterwegs in voller Länge im Matsch. "Wie siehst Du denn aus?", fragte seine Frau Silvia.

Marathontraining ist kein Zuckerschlecken: Hobbyläufer Christian Pape landete unterwegs in voller Länge im Matsch. "Wie siehst Du denn aus?", fragte seine Frau Silvia.

Foto: Dirk Jansen/manus sinister

Bisher war das einzige Hindernis, mein Training zum Marathon einzuhalten, ich. Doch die sintflutartigen Regenfälle der letzten Tage stellen eine noch viel größere Hürde dar. 3000 Unwetterwarnungen hat der Deutsche Wetterdienst in den vergangenen zwei Wochen herausgegeben. Subtropische Temperaturen wechseln sich mit Gewitterkatastrophen ab. "Jung, machst Du dat Wetter?", ruft mir die nette ältere Dame von gegenüber zu. Sie hat ihr Wohnzimmerfenster weit geöffnet und erhofft sich so ein bisschen Abkühlung. "Wir wohnen hier doch noch im gelobten Land!", höre ich mich den Klassiker sagen und winke freundlich.

Wie sich die Zeiten ändern. Was für die jungen Leute heute Facebook ist, war für die Älteren immer schon "mit dem Kissen aus dem Fenster gucken". Ich stehe in leichter Laufkleidung auf der Straße und schaue hoch. Eben noch war der Himmel strahlend blau. Jetzt ziehen immer dunkler werdende Wolkenmassen auf. In der Ferne ein Donnergrollen. Umdrehen? Ich lasse mich nicht einschüchtern. Wie sagt der Rheinländer immer: "Der meiste Regen fällt vorbei!"

Außerdem muss ich meinen Trainingsplan einhalten. Während ich los trabe, gehe ich in Gedanken die Bauernregeln durch. Gibt es da etwas zu "Regen im Juni"? Im selben Moment prasseln immer dicker werdende Regentropfen auf den Asphalt. Von jetzt auf gleich schüttet es wie aus Kübeln. Na klar, jetzt weiß ich es wieder: "Fällt Juniregen in die Socken, bleiben Füße auch nicht trocken." Und patsch - trete ich in eine tiefe Pfütze.

Ich muss mein Tempo drosseln, als ich in der Kurve beinahe ausrutsche. Die nasse Straße wird gefährlich glatt. Am besten ab in die Botanik! Vielleicht spendet das Blätterdach der Bäume ein wenig Schutz und der Waldboden ist in jedem Fall weicher als Straßenbelag. Sonst laufe ich eigentlich immer pulsorientiert, heute eher streckenorientiert. Ich versuche nur noch, nicht in die größten Pfützen zu treten.

Durch die starken Regenfälle der letzten Tage hat der Waldboden ungemein an Viskosität zugenommen. Will sagen: Ich laufe durch Matsch und Schlamm. Ach was, ich kämpfe mich durch eine wahre Moorlandschaft. Irgendwann kann von Laufen keine Rede mehr sein. Ich stapfe und ziehe meine Schuhe bei jedem Schritt mit einem lauten Schmatzgeräusch aus dem heimatlichen Untergrund.

Kennt Ihr noch aus Kindertagen das Spielzeug "Slimy", diese grüne, glitschige, feuchte Schleimmasse aus der Dose? Wenn man seine Faust in die volle "Slimy"-Verpackung drückte, pupste es aus der Dose und wir Kinder amüsierten uns köstlich. Meine brandneuen Laufschuhe pupsen auch im Schlamm. Jetzt finde ich das gar nicht mehr lustig. Habe ich den Kassenbeleg über meine neuen Treter eigentlich zu Hause auf dem Küchentisch liegenlassen? Bitte nicht! Wenn Silvia den findet, wird es für mich alles andere als lustig.

Dem aufgeweichten Boden gefallen meine Laufschuhe so gut wie mir. Er will sie gar nicht mehr hergeben. Ich versinke knöcheltief und stecke schließlich fest. Ich ziehe und zerre und mit einem letzten Schmatzlaut wird mein Fuß doch noch freigegeben. Der Schwung wirft mich nach hinten und ich lande in voller Länge im Matsch. Fangotherapie ohne Rezept!

Historische Quellen belegen, dass schon römische Legionäre die Heilkräfte des Heilschlamms zu schätzen wussten. Mein Heilschlamm riecht aber irgendwie nach niederländischem Klärschlamm, der wohl vor kurzem auf die benachbarten Felder gefahren worden ist. Die Heilkraft wird sich also in Grenzen halten. Um ehrlich zu sein, ich stinke nach Gülle. Meine Pulsuhr piept wie verrückt und stellt automatisch von der Disziplin "Laufen" auf "Schwimmen" um.

Der Regen wäscht den Schlamm nur langsam von meinem Körper. Verdammt, was juckt denn da so auf meinem Schienbein? Ich kratze, schaue nach unten. Oh Gott! Ich bin übersät von roten Flecken: Mückenstiche! Es sind so viele, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Meine Blutspende für dieses Jahr habe ich also auch schon hinter mir.

Wie konnte ich das nur vergessen?! Bei feucht-warmem Klima sind Heerscharen von Stechmücken besonders gerne an Flüssen, Bächen und in versumpften Wäldern zu finden. Oder eben jetzt in meiner Trainingshose.

Ich werde verrückt. Dieses helle Summen, das sich in die Gehörgänge frisst wie ein Tinnitus. Eine regelrechte Invasion. Wie die Hyänen stürzen sich die kleinen Biester weiter auf mich und zapfen mich unentwegt an. Angelockt werden sie von dem in der Ausatemluft des Menschen enthaltenen Kohlendioxid. Sie fühlen sich aber auch angezogen durch Schweiß und den Geruch von getragenen Socken. Prima, ich muss gerade ein Paradies für Mücken sein! Über die angekündigte Mückenplage 2016 braucht sich also niemand mehr Sorgen zu machen. Sie sind alle bei mir.

Früher hingen in Küchen, vor allem in Küchen von Bauernhöfen, diese klebrigen Fliegenbänder von der Decke. Unzählige Fliegen klebten daran fest. Ich fühle mich gerade wie ein Fliegenband. Nur für Mücken. Um mich schlagend rase ich los, um im nächsten Moment wieder abzustoppen. Vielleicht lassen sich die Mücken austricksen und jagen über meinen Kopf hinweg ins Leere. Mein Lauf erinnert an ein ruckelndes Auto, dem auf den letzten Metern das Benzin ausgeht. Doch dieses Gas-Bremse-Gas-Spiel macht meinen fliegenden Begleitern deutlich mehr Spaß als mir. Hätte ich jetzt doch mein Auto hier. Meine Windschutzscheibe stände für diese kleinen Quälgeister schon bereit.

Die Lust auf Training ist mir längst vergangen. Ich muss raus aus dem Wald. Und zwar schnell! Nach jedem gelaufenen Kilometer bimmelt meine Pulsuhr und zeigt auf dem leuchtenden Display an: "Neuer Rekord!" Doch ich kann mich darüber nicht freuen. Meine Lunge sticht. Ich will nicht mehr, aber ich muss. Der Schlamm in meinen Schuhen ist längst zu Beton geworden. Mein Körper brennt. Vom Laufen? Von diesen verdammten Stichen? Beim nächsten Lauf werde ich vorher in Anti-Mücken-Mittel baden!

Endlich, unser Haus ist in Sichtweite. Silvia öffnet mir die Tür und erschrickt: "Wie siehst Du denn aus!" Im nächsten Moment liege ich nackt auf dem Sofa. Auf mir Kühlakkus gegen die Schwellungen. Dann Zwiebelhälften, die den Juckreiz stillen sollen. Ich bin von oben bis unten zerstochen - so viele Zwiebeln findest du in keinem Haushalt! Also patscht Silvia noch Kartoffel- und Zitronenscheiben drauf. Amelie ist völlig außer sich: "Papa sieht ja aus wie ein kaltes Buffet!"

Während ich leidend und leicht verstört an die Wohnzimmerdecke starre, kommt mir in den Sinn, dass es doch toll wäre, wenn die Wissenschaft mal Stechmücken mit Glühwürmchen kreuzt. Dann hätten wir Läufer es im Wald immer schön hell. Und nachts im Schlafzimmer wüsste man ganz genau, wo man hinschlagen muss. Autor Christian Pape (42) ist Humorist und Hobbyläufer. Am 2. Oktober 2016 geht er mit RP-Redakteur Michael Heckers beim Köln-Marathon an den Start.

(RP)
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