Serie Pape läuft (Folge 17) Hätte, hätte, Fahrradkette

Beeck · Die Achillessehne zwingt Christian Pape aufs Fahrrad. Die abgesprungene Kette macht aus dem Läufer zwangsläufig einen Hobbymonteur.

 Radfahren statt Marathontraining - oder vielmehr: Fahrrad reparieren statt Radfahren. Christian Pape kämpft mit den Tücken einer abgesprungenen Fahrradkette.

Radfahren statt Marathontraining - oder vielmehr: Fahrrad reparieren statt Radfahren. Christian Pape kämpft mit den Tücken einer abgesprungenen Fahrradkette.

Foto: DIRK JANSEN/MANUS SINISTER

In den achtziger Jahren gab es für uns Jugendliche elementare Glaubensfragen: Die einen tranken in der Schulpause Kakao, die anderen Vanillemilch. Zu Hause las man entweder die Detektivbücher "Die drei ???" oder "TKKG". Bei den Schuhen trug man Puma oder Adidas. Das Design war dabei eher überschaubar. Turnschuhe gab es in Weiß mit blauen oder schwarzen Streifen. Oder in Schwarz mit weißen Streifen. Das war's! Und heute? Die Fußball-EM in Frankreich hat gezeigt, welch schreiend bunte Modelle Fußballer inzwischen an ihren sensiblen Füßchen tragen.

Zum Teil laufen die Spieler ja sogar mit zwei verschiedenfarbigen Schuhen über den Rasen. Der eine leuchtet in Gelb, der andere in Pink. Böse Zungen behaupten, dass sie so Rechts von Links unterscheiden können. Wie sich die Zeiten doch ändern. Wir wurden früher schon gnadenlos gehänselt, wenn wir nur zwei unterschiedliche Socken anhatten! Zwei unterschiedliche Schuhe - man wäre zum Depp des Schulhofs gekürt worden. Heute ist derjenige, der am rechten Fuß einen anderen Schuh trägt als am linken, vielfacher Multimillionär und wird sogar noch verehrt und angehimmelt. Verkehrte Welt.

Auch auf dem Laufschuhmarkt sind die Ausführungen jetzt quietschebunt. Ganz ehrlich, in solchen Schuhen hätten einen damals die Mitschüler im Sportunterricht beim Wählen der Mannschaften bis zum Schluss auf der Bank schmoren lassen. Oder man wäre direkt in die AG "Rhythmische Sportgymnastik" versetzt worden. Im Internet bieten große Sportartikelhersteller sogar die Möglichkeit an, den Laufschuh selbst zu bauen und die Farben nach eigenem Geschmack zusammenzustellen. Wahnsinn. Für mich ist das nichts. Ich muss Klamotten anfassen, fühlen, knautschen. Pullover zum Beispiel reibe ich mir erst mal an meine Wange. So spüre ich schnell, ob sie jucken oder nicht. Schuhe probiere ich an. Ich habe immer noch Mamas Worte im Ohr: "Stell Dich mal vernünftig auf beide Füße und jetzt den Zeh nach oben. Da ist eine Daumenbreite Platz. Der passt!" Ich kaufe also viel lieber direkt im Laden ein. Schuhregale in Sportgeschäften ziehen mich dann magisch an. Sie wirken wie bunte Blumenwiesen. Kunden mit Hund müssen aufpassen, dass ihre vierbeinigen Lieblinge nicht aus Versehen das Beinchen heben und die sündhaft teuren Hightech-Puschen fröhlich plätschernd markieren. Läufer ticken ein bisschen wie Frauen. Sie berauschen sich am Schuhekaufen. Ich glaube, ich habe mich infizieren lassen. Ich besitze so viele Laufschuhe, wie meine Frau Silvia High Heels, Pumps, Ballerinas, Sandaletten und Sneakers in ihrem Schrank hortet. Und in der Kommode. Und im Keller. Ihr wisst, was ich meine. Dabei fluche ich innerlich immer, wenn Silvia und ich ausgehen möchten und irgendwann wird die Frage der Fragen gestellt: "Wie weit bist Du?" Die Antwort lautet dann jedes Mal: "Ich bin jetzt fertig."

Doch Männer und Frauen haben ein unterschiedliches Gefühl für Zeit. Wenn wir Männer sagen: "Ich bin jetzt fertig!", stehen wir mit Jacke und Schlüssel an der Tür. Wenn Silvia sagt "Ich bin jetzt fertig!", meint sie damit, sie hat lediglich eine Vorstellung davon, wie sie einmal fertig aussehen könnte. Beide Hände in die Hüften gestemmt, lässt sie den Blick über ihre Schrankflucht schweifen und ruft schließlich den Satz, den wohl alle Männer kennen. "Schatz, ich habe nichts anzuziehen!" Mittlerweile verstehe ich Frauen nur zu gut und leiste an dieser Stelle aufrichtig Abbitte. Denn vor dem Training kauere auch ich vor meinen aufgereihten Laufschuhen und höre mich rufen: "Ich habe nichts anzuziehen!"

Insgeheim besitze ich ein Lieblingspaar. So wie jede Frau auch. Der Laufschuh meines Vertrauens lächelt mich vor jeder Trainingseinheit an. Ich meine sogar, er kneift mir keck eine Öse. Dabei ist er schon ausgelatscht. Egal. Mit diesen Tretern jage ich seit vier Monaten dem großen Glück nach. Mal erreiche ich es, dann scheitere ich wieder. An ihnen hängt mein Läuferleben. Also schlüpfe ich auch heute in meine geliebten Pantinen und laufe mit einem Gefühl der Geborgenheit und einem vertrauten Geruch in der Nase los. Eine laue Sommerbrise umspielt meine Waden. Die Nähte meiner Traumtreter knarzen zufrieden bei jedem Schritt. Doch was ist das? An meinem rechten Schuh hat sich die Sohle an der Spitze ein wenig gelöst. Sie hängt leicht runter. Behutsam verlangsame ich das Tempo. Ich hebe den rechten Fuß etwas an. Meine Sohle versteht dies wohl als Einladung, sich noch weiter vom Restschuh zu rollen. Jetzt schleift sie schon so weit über den Boden, dass die entgegenkommenden Spaziergänger entgeistert auf meine Füße starren. Ich stürze fast. Es geht nicht mehr. "Was ist los, alter Junge? Bis Du noch zu retten oder muss ich Dich einschläfern lassen?"

Mein Schuh soll nicht länger leiden. Mit einem festen Ruck reiße ich die Sohle ab. Der linke Fuß ist jetzt weich gelagert und gibt mir einen leichten Trieb nach vorne. Mein rechter Fuß dagegen schlägt senkrecht ein wie ein Hammerschlag. Links laufe ich normal, rechts auf Zehenspitzen. Ich erinnere mich, dass der Äthiopier Abebe Bikila bei den Olympischen Spielen in Rom den Marathon barfuß gelaufen ist und die Goldmedaille errungen hat. Meine rechte Ferse ist schon nach zehn Minuten Laufen platt und breit und die Achillessehne schmerzt wie Hölle. Ich laufe direkt durch zu meinem Physiotherapeuten. Der drückt auf diese eine ganz bestimmte Stelle und ich gehe in die Luft. "Christian, Du musst erst mal aussetzen mit Laufen. Die Sehne ist extrem gereizt. Überbelastung. Zwei Wochen Ruhe." "Und wie soll ich für den Marathon trainieren?", frage ich entsetzt "Im Sitzen!" antwortet er. Ich soll Fahrrad fahren. "Fahrrad? Was kommt als nächstes? Muss ich jetzt noch mein Seepferdchen nachholen und für einen Triathlon trainieren?" "Radfahren durchbricht Deine monotone Laufbelastung und die Sehne wird behutsam gedehnt."

Am Abend stehe ich vor Mamas Hollandrad, weil ich selbst kein Fahrrad mehr besitze. Ein Modell, das man nicht abschließen braucht, da es niemand klauen würde. Ich möchte auf der Stelle meiner Angst vor einer schlimmeren Verletzung davonfahren. Also, Kopf runter und ab. Ich fliege. Im dritten Gang. Mehr Gänge hat der alte Klepper nicht. Was rappelt denn da so? Verflucht, ich habe das Fahrradkörbchen auf dem Gepäckträger stecken lassen. Darin hüpfen zwei Kerzen, eine Harke und die Tülle einer Gießkanne. Wahrscheinlich von Mamas Grabpflege. Mein Tritt läuft irgendwie nicht richtig rund. Fester treten! Klack. Klack. Klack. Oh nein! Die Fahrradkette ist abgesprungen.

Ich strampele wie ein Maikäfer mit meinen Beinen in der Luft. Das darf doch nicht wahr sein! Mitten im Feld. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. Ich hieve das Fahrrad auf den Kopf und fummele mit schwarzen Fingern verzweifelt an der Kette rum. Als ich schon selbst nicht mehr damit rechne, rastet die Kette doch noch auf dem Zahnrad ein. Eine Stunde sollte ich locker Fahrrad fahren. Davon habe ich 50 Minuten die Fahrradkette aufgezogen. Immerhin. Was für ein Trainingstag. Später auf der Terrasse gönne ich mir völlig abgekämpft ein kühles Bier. Pur. Auf "Radler" ist mir heute die Lust vergangen.

AUTOR CHRISTIAN PAPE (42) IST HUMORIST UND HOBBYLÄUFER. AM 2. OKTOBER 2016 GEHT ER MIT RP-REDAKTEUR MICHAEL HECKERS (42) BEIM KÖLN-MARATHON AN DEN START.

(RP)
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