Wermelskirchen Eine Dicke begehrt auf

Wermelskirchen · Nicole Jäger, die sich selbst gern als "Rampensau" bezeichnet, kokettierte mit ihren 160 Kilogramm Lebensgewicht auf der Katt-Bühne. Die Übergewichtigen - und damit Leidensgenossinnen - im Saal wickelte sie schnell um ihren Finger.

Wermelskirchen: Eine Dicke begehrt auf
Foto: Jürgen Moll

Die "Fettlöserin" betritt die Bühne der Katt. Und tatsächlich, sie ist "eine Rampensau" (Nicole Jäger über Nicole Jäger). Sie nimmt sofort kein Blatt vor dem Mund, wenn sie die wenigen Männer in der ausverkauften kleinen Halle begrüßt, "die nur hier sitzen, damit sie jemals wieder Sex haben dürfen". Da nicken die Angesprochenen unmerklich und ihre Partnerinnen grinsen. Ab sofort ist allen klar: Es wird ein lustiger Abend, der es in sich hat.

Für die 160 Kilo-Jäger im knallschwarzen Kleid über engen schwarzen Leggins ("Schwarz macht schlank, hat man mir gesagt") ist alles zum Abschuss freigegeben, inklusive sie selbst: "Mit 340 Kilo war ich das Mutterschiff des Scheißebauens." Ist es ihre eigene Fett-Flucht nach vorne wider die Vorurteile unserer Gesellschaft über Übergewichtige? Ein Test ihres eigenen Selbstbewusstseins? Will sie es allen beweisen, dass Dicke nicht dick sind, weil sie zu doof sind, sich vernünftig zu ernähren?

Die Studentin der Sprachwissenschaft und Gebärdensprache, Heilpraktikerin, Ernährungsberaterin und Personal Coach muss es wissen: Als sie 340 Kilo wog, beschloss sie, ihr Fett zu lösen und in Folge das ihrer Leidensgenossinnen auch. Mittlerweile hat sie 180 Kilo abgenommen. Und ist immer noch zu dick. Aber jetzt wuchert sie mit ihren Pfunden: "Ich darf das, ich bin selber dick", nennt sie ihr Programm. Sie erzählt, wie sie selber unaufhörlich an Gewicht zulegte und sich beruhigte: "Solange der Schal noch passt, brauche ich keine Diät." Dabei schlägt sie die Leute - darunter jede Menge Pfundsweiber und auch -Kerle - mit Schlagfertigkeit ("Geile Lache, krieg ich nachher als Klingelton") und mit dem Aufbau eines "Wir-Gefühls" in den Bann. Sie spricht den Dicken aus dem Herzen: "Wer von Euch hat schon mal eine Diät gemacht?" Nahezu alle Hände gehen hoch. "Wer kennt die Optifast-Diät?" Wieder sind viele Hände zu sehen. "Ich weiß, Ihr seid genau so bescheuert wie ich", sagt sie. Sie verurteilt den Umgang mit Körperlichkeit in unserer Gesellschaft. Den Einkaufsweg durch den Supermarkt nehme die Öffentlichkeit als "Beschaffungskriminalität" wahr. Dicke werden in den sozialen Netzwerken und auch auf der Straße mit Ausdrücken tituliert, von denen "Abschaum" und die empfohlene "Notschlachtung" noch gelinde sind. Und dann steht sie wie ein schwarzer Fels in der Brandung und sagt: "Solange Menschen wegen ihres Aussehens zu Hause verzweifelt weinen oder sich vom Dach stürzen, stehe ich hier mit zwei gestreckten Mittelfingern." Der heftiger Beifall ermutigt sie, über zu enge Stühle und Tische in Restaurants ("Ich bin nicht nur breit, ich bin auch tief") und Eisdielen zu lästern. Aber sie geißelt auch den Hang der Dicken zur Verniedlichung durch klitzekleine Rucksäcke, winzige Ohrringe und andere "Fancy-Scheiße". Und sogar die Katt bekommt ihr Fett weg: Sie als "Stage-Diva" betritt die Bühne und die Bretter bewegen sich: "Der Albtraum eines dicken Menschen."

Am Ende redet sie über Motivation und nennt den einzig vernünftige Grund abzunehmen: bessere Lebensqualität. Und dann gibt sie einen zarten Blick in ihr Innerstes preis mit ihrem selbst geschriebenen Gedicht: "Wenn ich ehrlich zu Dir wäre." Da wird sie auch zum kleinen Mädchen, das unter seiner Speckschicht leidet und leidet und das nicht weiß, ob sie dieses Leid wirklich bewältigen kann. Es können einem die Tränen kommen. "Sie hat mich nachdenklich gemacht", sagt eine unbekannte Besucherin. Die Fettlöserin hat ihr Ziel erreicht.

(bege)
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