Wermelskirchen Hartz IV: Betroffene verärgert

Wermelskirchen · Die von Außenminister Guido Westerwelle angestoßene Debatte bringt vor allem Hartz IV-Empfänger in Rage. "Solche Äußerungen eines Regierungsmitgliedes zeugen von völliger Unkenntnis", so ein Betroffener.

Die Debatte um Hartz-IV scheint kein Ende zu nehmen. Nach hitziger Diskussion im Bundestag scheint keine zufriedenstellende Lösung gefunden. Auch fernab aller Polemik im Bundestag fühlen sich Hartz-IV-Empfänger in Wermelskirchen von den Äußerungen des Außenministers Guido Westerwelle getroffen.

Mit reger Aufmerksamkeit verfolgen viele die Streitigkeiten. So erscheint es als völlig naheliegend, dass auch bei der Lebensmittelausgabe bei der "Tafel" über die Angriffe Westerwelles diskutiert wird.

"Solche Äußerungen eines Regierungsmitglied zeugen von völliger Unkenntnis", sagt ein 59-jähriger Hartz-IV-Empfänger. Die Diskussion sei reiner Populismus von ignoranten Leuten, urteilt er. Auch eine 48-jährige Hartz-IV-Empfängerin fühlt sich von den Äußerungen getroffen: "Mir geht die Debatte auf den Zeiger." Beide empfinden es nicht als schlimm, über ihren Bezug von Hartz IV zu sprechen. Viel schlimmer sei die Verallgemeinerung von Politikern und innerhalb der Bevölkerung. "Deshalb muss darüber gesprochen werden", sind sich beide einig. "Aufklärung ist notwendig."

Viele Schicksalsschläge

Als gelernter kaufmännischer Angestellter habe er viele Schicksalsschläge in seiner Berufslaufbahn erlebt, erzählt der heute 59-Jährige. Er sei froh, wenn ihm jemand zuhöre und er erklären könne, nicht selbstverschuldet in Hartz-IV gerutscht zu sein.

"Mehrmalige Arbeitslosigkeit, Jobs auf 400-Euro-Basis, wieder eine Festanstellung mit Insolvenz der Firma", zählt er seine Berufslaufbahn auf. Aber er habe immer Initiative gezeigt und sich aus eigener Kraft beworben: "Nur jetzt, mit Mitte oder Ende Fünfzig, finde ich keine Arbeit mehr." Diese "total negative Situation" empfinde er als aussichtslos. "Es lebt sich wirklich schlecht von 415 Euro im Monat", sagt er fast resignierend.

Diese Einschätzung kann auch Brigitte Krips teilen. Die Leiterin der "Tafel" trifft bei jeder Lebensmittelausgabe auf Schicksale, die über jede Anteilnahme oder ein offenes Ohr froh sind: "Es gibt keinen Wohlstand für die Menschen, die zu uns kommen. Deshalb muss man klar differenzieren zwischen Empfängern von Sozialhilfe und Erwerbstätigen." Die Kalkulation müsse stimmen, erklärt Krips: "Es ist kein zu hoher Hartz-IV-Satz, sondern eher ein zu niedriges Einkommen."

Dem stimmt auch die aufgebrachte 48-jährige Hartz IV-Empfängerin zu. Mit 354 Euro im Monat könne sie ohne die Hilfe der Tafel nicht überleben, sagt sie. Natürlich gebe es immer schwarze Schafe, räumt sie ein. Wer sein Geld sofort "versäuft und irgendwo abhängt", den könne sie nicht verstehen.

Keine Wiedereingliederung

Doch die Frau bewegt noch ein anderes Thema: "Ich verstehe die Arbeit der Ämter nicht. Mein Lebensgefährte und ich haben die Erfahrung gemacht, dass lieber ein Hartz IV-Satz bezahlt wird statt der Möglichkeit zur Wiedereingliederung in die Arbeitswelt." Sie nennt das Beispiel einer Anstellung, bei dem 70 Prozent des Lohnes vom Arbeitsamt und der Rest vom Arbeitgeber bezahlt wird: "Mein Lebensgefährte wurde ein halbes Jahr später wieder entlassen, weil es angeblich keinen Zuschuss mehr vom Amtgibt. Jetzt bezieht er wieder Hartz IV."

(RP)
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