Interview mit Stefan Krause Jugendliche müssen sehr flexibel sein

Wermelskirchen · Der Ausbildungsmarkt ist im Wandel. Arbeitgeber müssen sich mit alternativen Wegen auseinandersetzen, um Bewerber zu finden.

 In der Region gibt es große Unterschiede. Während Rhein-Berg eher dienstleistungsorientiert ist, dominiert in Oberberg das produzierende Gewerbe.

In der Region gibt es große Unterschiede. Während Rhein-Berg eher dienstleistungsorientiert ist, dominiert in Oberberg das produzierende Gewerbe.

Foto: nico Hertgen (archiv)

Wie beurteilen Sie die Situation auf dem Ausbildungsmarkt?

Krause Der Ausbildungsmarkt wandelt sich gerade zu einem Bewerbermarkt. War es früher so, dass die Bewerber sich bei den Arbeitgebern beworben haben, müssen sich immer häufiger die Arbeitgeber bei den Jugendlichen bewerben. Dies bietet den Jugendlichen große Chancen - und bedeutet für die Arbeitgeber, dass sie sich nicht auf den klassischen Bewerbungsweg verlassen dürfen, sondern sich mit alternativer Bewerbergewinnung - beispielsweise über das Internet, sozialen Medien oder sogenannte Speed-Datings - auseinandersetzen müssen.

 Stefan Krause, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Bergisch Gladbach

Stefan Krause, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Bergisch Gladbach

Foto: Arbeitsagentur

Gibt es regional Unterschiede?

Krause Rhein-Berg und Oberberg unterscheiden sich erheblich in ihrer Struktur. Während Rhein-Berg eher dienstleistungsorientiert und der Metropole Köln zugewandt ist, dominiert in Oberberg eine hohe Produktionsorientierung, gepaart mit einer schwierigen ÖPNV-Situation. Zwar gibt es in vielen Kommunen große Arbeitgeber, aber die Pendelmöglichkeiten sind weniger ausgeprägt als in Rhein-Berg. In beiden Regionen zeigt sich, dass die Berufswahl häufig eher traditionell abläuft - Jungs in Männerberufen und Mädchen in Frauenberufen.

Sind Sie mit den Zahlen zufrieden?

Krause Die erneute Steigerung bei den gemeldeten Ausbildungsstellen freut mich natürlich. Leider gilt dies nicht für Wermelskirchen, Radevormwald und Hückeswagen - hier reduzierte sich das Angebot an Ausbildungsstellen um zwölf beziehungsweise acht Prozent. Auf der anderen Seite macht sich auf der Seite der gemeldeten Bewerber langsam der demografische Wandel bemerkbar, von dem vor allem der Oberbergische Kreis betroffen ist. Dies wird auch an den Bewerberzahlen sichtbar: Während sich in der Geschäftsstelle Wermelskirchen noch 64 Jugendliche mehr als Bewerber gemeldet haben, ist die Zahl für die Geschäftsstelle Wipperfürth um 62 gesunken - das sind jeweils 11,5 Prozent. In der Zukunft wird es noch wichtiger sein, allen Jugendlichen, die motiviert sind eine Ausbildung zu machen, eine solche zu ermöglichen. Und diejenigen, die es noch nicht sind, dafür zu befähigen und zu interessieren. Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, Ausbildungspotenziale zu verschenken.

Was fehlt den angehenden Auszubildenden heute?

Krause "Fehlen" ist vielleicht nicht das richtige Wort. Es gibt fast 350 duale Ausbildungsberufe - dazu Hunderte von schulischen Ausbildungen und verschiedenste Studiengänge. Hier die richtige Wahl zu treffen, ist für einen Jugendlichen schwierig. Im Großen und Ganzen sind die Auszubildenden von heute weder schlechter noch besser als die "von früher". Allerdings haben nicht alle Lust, sich nach der 10. Klasse ins Berufsleben zu stürzen. Sie bleiben lieber im "System Schule", wo sie sich auskennen. Hier wird in manchen Fällen viel Zeit verschenkt.

Welche Voraussetzungen müssen Auszubildende heute mitbringen?

Krause Flexibilität sowie die Bereitschaft und Fähigkeit, sich immer wieder auf Neues einzulassen, sind Eigenschaften, um am aktuellen Arbeitsmarkt bestehen zu können.

Ist fehlende Flexibilität ein Problem?

Krause Die Palette der möglichen Berufsausbildungen ist riesig. Die Jugendlichen, aber in der Regel auch die Eltern, die übrigens immer noch die einflussreichsten Berater bei der Wahl der Ausbildung sind, kennen häufig nur einen kleinen Bruchteil davon. In diesem relativ engen Rahmen bewegen sich daher meist auch die Berufswünsche. Dies ist bei den Mädchen noch ausgeprägter als bei den Jungs. Ein anderer Aspekt ist die Mobilität. Im Oberbergischen, aber zum Teil auch im Rheinisch-Bergischen, ist es manchmal schwierig, andere Kommunen zu erreichen. Im Oberbergischen nützt einem Jugendlichen aus Hückeswagen oder Radevormwald ein passender Ausbildungsplatz in Reichshof oder Morsbach nur wenig - wenn er auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist.

Woran liegt es, dass Jugendliche oft keine Vorstellung von Berufen haben?

Krause Die Vielfalt der Möglichkeiten macht es schwer, die eigenen Möglichkeiten einzuschätzen. Seit vielen Jahren wird die Berufsorientierung an den Schulen intensiviert. Verschiedene Projekte versuchen zum Teil schon sehr früh, die Jugendlichen für das Thema "Berufswahl" zu begeistern. Nun ist die Interessenlage 14-/15-jähriger Teenager in der Regel eine andere - die Entscheidung für eine Ausbildung oder einen Beruf liegt für sie "gefühlt" noch weit in der Zukunft. Sie hier früh zu sensibilisieren und zu interessieren ist die Schwierigkeit, der sich die Agentur für Arbeit, die Schulen und alle, die die Jugendlichen bei der Berufswahl unterstützen wollen, stellen müssen. Dabei hilft das Landesprogramm "Kein Abschluss ohne Anschluss" (KAoA).

Was empfehlen Sie?

Krause Letztendlich ist es wichtig, sich seiner Stärken bewusst zu sein. Was kann ich gut? Wofür werde ich gelobt? In der Regel agiert unsere Gesellschaft eher defizitorientiert. Daher auch die Potenzial-Analyse bei KAoA - schauen, wo sind meine persönlichen Stärken, die ich dann auch bei der Berufswahl berücksichtigen kann und sollte. Eine Chance ist, auch mal die Eltern oder Freunde zu befragen - die sehen einen häufig anders (oft positiver) als man sich selbst. Wenn Eltern sich bei der Berufswahlentscheidung der Jugendlichen engagieren, ist dies auch eine große Unterstützung.

Welche Entwicklung erwarten Sie für die Zukunft?

Krause In Rhein-Berg und vor allem in Oberberg werden die Schülerzahlen weiter sinken. Damit auch die Zahl an Bewerber für einen Ausbildungsplatz. Die Arbeitgeber müssen sich darauf einstellen, auch vermeintlich nicht idealen Kandidaten eine Chance zu geben oder ansonsten leer auszugehen. Die Agentur für Arbeit kann hier bei Bedarf unterstützen, beispielsweise durch ein Langzeitpraktikum, ausbildungsbegleitende Hilfen oder assistierte Ausbildung.

U. TEIFEL, S. RADERMACHER UND W. SCHOLL STELLTEN DIE FRAGEN.

(RP)
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