Ulf Reichardt Steuer-Erhöhungen schwächen Firmen

Wermelskirchen · Brexit und die "America first"-Politik könnten Auswirkungen auf die Region haben. Unternehmen sind international aufgestellt, Kunden und Lieferanten kommen aus der ganzen Welt, weiß IHK-Hauptgeschäftsführer Ulf Reichardt.

 IHK-Hauptgeschäftsführer Ulf Reichardt

IHK-Hauptgeschäftsführer Ulf Reichardt

Foto: IHK/Peter Boettcher

Rhein-Berg Die Wirtschaft reagiert sensibel auf Veränderungen und Krisen in der Welt. Trifft das auch auf die Wirtschaft vor Ort zu? Ulf Reichardt, Hauptgeschäftsführer der IHK in Köln, spricht im BM-Interview über die Wirtschaftslage im Bergischen Land und die Auswirkungen von Donald Trump, Brexit & Co.

Herr Reichardt, wie ist es derzeit insgesamt um die Wirtschaftskraft im Rheinisch-Bergischen Kreis bestellt?

Reichardt Die Unternehmen in Rhein-Berg beschreiben ihre Geschäftslage derzeit überwiegend als "gut bis befriedigend". Bei den Leverkusener Unternehmen plant rund ein Drittel für die kommenden Monate verstärkte Investitionen, in Rhein-Berg sind es sogar 38 Prozent. Zwar zeigt unsere aktuellste Konjunkturumfrage, dass die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen etwas zurückgegangen ist, aber im Gesamtbild können wir sagen: Um die Wirtschaftskraft ist es nach wie vor gut bestellt.

Können Sie die wirtschaftlichen Strukturen im Rheinisch-Bergischen Kreis kurz skizzieren?

Reichardt Im Raum Leverkusen/Rhein-Berg betreuen wir in den acht Städten und Gemeinden rund 25.000 Mitgliedsunternehmen. Die Region ist nicht nur ein wichtiger Standort der chemisch-pharmazeutischen Industrie, vielmehr sind hier auch zahlreiche mittelständische Unternehmen aus den Bereichen Metall- und Kunststoffverarbeitung, Automobilzulieferindustrie, Elektrotechnik, Rollenfabrikation, Papierherstellung und -verarbeitung angesiedelt. Ergänzt werden diese eher traditionellen Branchen durch Unternehmen aus der Informations- und Kommunikationstechnologie, der Medienwirtschaft, der Biotechnologie und der Beratungsdienstleistungen.

Derzeit gibt es weltweit mehrere potenzielle Krisenherde. Inwieweit betrifft der Brexit die Wirtschaft in Rhein-Berg?

Reichardt: Großbritannien ist ein wichtiger Markt in Europa. Wenn die Wirtschaft in Großbritannien infolge des Brexits schwächeln sollte, würde dies auch Unternehmen aus der Region betreffen.

Und welche Auswirkungen könnte die "America first"-Politik von US-Präsident Donald Trump auf bergische Unternehmen haben?

Reichardt In der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzpolitik lässt sich derzeit kein System erkennen, was Prognosen sehr schwierig macht. Aber die USA sind ein wichtiger Handelspartner der EU und Deutschlands. Wenn diese Wirtschaftsbeziehungen durch die Politik der neuen US-Regierung gestört werden, hätte dies negative Auswirkungen auf die Wirtschaft in Deutschland - und auch auf den Rheinisch-Bergischen Kreis, der stark exportorientiert ist und wirtschaftliche Beziehungen zu den USA hat.

Auch in Griechenland zeichnet sich eine neue Krise ab. Worüber macht sich die bergische Wirtschaft hier Gedanken?

Reichardt Griechenland ist als Markt für die meisten Unternehmen in Rhein-Berg eher unwichtig. Aber am Beispiel Griechenlands wird sich zeigen, ob die EU die Euro-Staatsschuldenkrise dauerhaft in den Griff bekommt und langfristig lösen kann.

Was müssen die Kommunen verbessern, um der Wirtschaft besser unter die Arme zu greifen?

Reichardt Die Kommunen müssen die Infrastruktur vor Ort in Schuss halten, den Breitbandausbau forcieren und als leistungsfähiger Dienstleister den Unternehmen schnell und flexibel zur Seite stehen. Besonders wichtig ist: Die Kommunen müssen genügend Potenzialflächen für Industrie und Gewerbe bereithalten, damit die erfolgreichen Unternehmen vor Ort weiter wachsen können. Das sichert Arbeits- und Ausbildungsplätze in den Kommunen.

Die Grundsteuer ist ein wiederkehrendes Thema - wo sind Ihrer Meinung nach die Grenzen bei den Hebesätzen?

Reichardt Bei den Hebesätzen für die Gewerbesteuern und die Grundsteuern liegt NRW leider bundesweit ganz vorne - das gilt leider auch für den Rheinisch-Bergischen Kreis. Mit jeder weiteren Erhöhung wird die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen geschwächt, weil Konkurrenten in anderen Bundesländern zum Teil deutlich weniger Gewerbe- und Grundsteuern zahlen.

Gestiegene Kaufkraft in Deutschland im vergangenen Jahr, gestiegene Inflation im Januar im Euroraum. Wird die Wirtschaft insgesamt instabiler?

Reichardt Die Binnenkonjunktur ist auf gutem Niveau stabil - dank hoher Beschäftigung, steigender Realeinkommen und niedriger Zinsen. Instabilitäts-Tendenzen kommen durch die möglichen Auswirkungen des Brexits, die unsichere Wirtschafts-, Finanz- und Außenhandelspolitik der USA und den Herausforderungen, denen sich Europa und die EU dieses Jahr stellen müssen: Präsidentschaftswahl in Frankreich, die Lage in Italien und in Griechenland, die Euro-Staatsschuldenkrise.

Inwieweit betrifft die Wirtschaft im Euroraum auch die im eher ländlich geprägten Bergischen Land?

Reichardt Viele Unternehmen in Rhein-Berg sind international unterwegs. Lieferanten, Partner und Kunden kommen aus ganz Europa, oft aus der ganzen Welt. Sobald es Störungen in einzelnen europäischen oder internationalen Märkten gibt, merken dies die Unternehmen schnell und unmittelbar.

Für wie wichtig halten Sie Förderprogramme wie "Leader" für den ländlichen Raum?

Reichardt Diese Projekte regen an, stützen und fördern. So wurde die "Leader"-Region Bergisches Wasserland möglich, die viele Kräfte eint und neue, zukunftsfähige Strukturen schafft. Übergreifende Förderprogramme tragen mit dazu bei, dass über kommunale Grenzen hinweg zusammengearbeitet wird, dass sich beispielsweise der Rheinisch-Bergische Kreis zusammen mit dem Oberbergischen Kreis und dem Rhein-Sieg-Kreis für die Regionale 2022 oder 2025 bewirbt. Ebenso unterstützt "Leader" lokale Projekte und organisiert damit bürgerschaftliches Engagement in der und für die Region.

Was müssen Räte und Kommunen in ländlichen Gegenden machen, um den wirtschaftlichen Anschluss nicht zu verpassen?

Reichardt Sie müssen Flächen für Industrie- und Gewerbe ausweisen, entwickeln und bereithalten, Voraussetzungen für störungsfrei fließenden Personen-, Wirtschafts- und Datenverkehr schaffen und sich als lösungsorientierte Partner der ansässigen Betriebe verstehen.

Wie wichtig ist die Digitalisierung, die Wirtschaft 4.0?

Reichardt Die Digitalisierung verändert rasend schnell Gesellschaft und Wirtschaft. Wertschöpfungsketten werden neu sortiert; alle Unternehmen stehen vor der Herausforderung, in dieser neuen Welt den richtigen Platz zu finden. Dies kann den Unternehmen nur gelingen, wenn sie schnell und flexibel reagieren, Chancen erkennen und nutzen. Schnell und flexibel sind besonders mittelständische Unternehmen - gerade auch, weil in diesen Familienunternehmen sehr strategisch und in langen Zyklen gedacht wird.

DAS INTERVIEW FÜHRTE WOLFGANG WEITZDÖRFER

(wow)
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