Wermelskirchen Vom Chaoskind zum Lebenskünstler

Wermelskirchen · Arno Backhaus erzählte auf Einladung der Lebenshilfe vom Leben mit ADHS.

"AD(H)S, ach du Schreck" - dieser Vortrag von Arno Backhaus lieferte einen erfrischenden Beitrag zur Feier "40 Jahre Frühförderung" der Lebenshilfe Rhein-Wupper. Arno Backhaus war nach einhelliger Meinung des Fachpublikums genau der Richtige, um über ADHS einen wichtigen Fachbeitrag beizusteuern. "Ich bin glücklich", sagte der 65-Jährige zu Beginn. "Ich möchte nicht verzichten auf Gott, meine Ehefrau und auf mein ADHS." Arno Backhaus ist Sozialpädagoge, Liedermacher, Schriftsteller und nach eigenem Bekunden "Spieleerfinder und Kreativmissionar". Und er hat die hyperaktive Version ADHS des Aufmerksamkeits-Defizit-Syndroms (ADS).

Er machte nicht den Eindruck, dass er darunter leidet. Aber als Kind war es eine Tortur für ihn. Die Eltern waren im Umgang mit dem quirligen Jungen machtlos. Sie konnten sich nur mit schweren Strafen helfen: Benutzte er "schmutzige Worte", steckte ihm seine Mutter Kernseife in den Mund. Zerschmiss er Gläser, ließ Türen knallen oder war unpünktlich - das kam ständig vor -, wurde er ans Bett festgebunden, nackt ausgezogen und mit dem Kleiderbügel geschlagen. "Daraus bestand meine Kindheit", sagte er. Er wurde aus dem Kindergarten entfernt, flog von vier Realschulen, blieb dreimal sitzen und hatte Probleme mit der Polizei. Und warum? Bei einem ADHSler landen Sinnesreize nicht als kleine Welle an die richtige Stelle im Gehirn. Sie machen eine "Achterbahnreise": Entweder kommen die Reize zu spät oder nur unvollkommen an. Oder ganz, ganz viele Reize auf einmal. Das führt zu einem anderen Körperempfinden - um sich selbst wahrzunehmen, zappeln sie herum. Sie können auch nicht regulieren, wie stark sie schubsen müssen, damit nichts Schlimmes passiert. Sie drücken den Stift zu fest auf, um ihn zu spüren und schreiben entsprechend schlecht. Sie brauchen acht bis 16 Durchgänge, um das Öffnen eines Fensters zu verstehen.

Die Folgen: Das Kind bekommt Ärger im Kindergarten, in der Schule, zu Hause. Überall. "Du taugst nix, bist nix, hast nix, kannst nix!", bekommt es überall zu hören. Dabei kann dieses Kind das alles nicht verstehen. Es gibt doch sein Bestes! Kein Wunder, dass es teamunfähig wird: "Wenn ich sowieso überall anecke, mache ich es halt alleine." Bei manchen kommen Selbstmordgedanken auf. Wie können Eltern reagieren? "Mit sehr viel Geduld und Verständnis. Und mit Förderung so früh wie möglich", sagte Backhaus. Späteres "Nach-Lieben" funktioniere nicht.

Aber ADHS habe auch seine guten Seiten. Diese Menschen seien überdurchschnittlich kreativ, erfassten viele Geschehnisse gleichzeitig und könnten sehr schnell entscheiden. Ideal für die Flugsicherung oder als Ladendetektiv. ADHSler seien wie Diamanten. Doch ehe man sie "mit Fassung" tragen könne, müsse man suchen und viel Dreck an der Oberfläche beiseiteschieben.

Das Buch "Ach du Schreck" von Arno Backhaus, erschienen im Brendow Verlag.

(bege)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort