Wesel Auf Wegen der Erinnerung

Wesel · Der Künstler Gunter Demnig hat in Wesel und Hamminkeln 30 neue Stolpersteine ins Pflaster gefügt. Sie erinnern an jüdische Familien, die bis zum Naziterror mitten in Stadt und Dorf lebten und dann umgebracht wurden.

Gedenken an den Holocaust ist keine Schönwetterveranstaltung. Als Gunter Demnig gestern Morgen in Hamminkeln an drei verschiedenen Stellen 14 seiner Stolpersteine zur Erinnerung an die Mitglieder der jüdischen Familie Marchand ins Pflaster legte, goss es in Strömen. Während Initiator Klaus Braun, historisch interessierter Archivar der evangelischen Kirchengemeinde, und Gäste die Schirme aufspannten, schützte sich der handarbeitende Künstler durch seinen Hut, der längst sein Markenzeichen ist.

Pünktlich um 9 Uhr macht sich Demnig routiniert an die Arbeit, assistiert von Stefan Seesing vom Bauhof. Zur Brüner Straße 8, nahe Elektro Nickel, hatte es Demnig nicht weit. Die Stadt hatte ihm gegenüber ein Bett im Gasthof Kamps besorgt. In einer halben Stunde waren die ersten sechs Steine mit den Messingköpfen dort platziert, wo einst das Haus des Kaufmanns David Marchand gestanden hatte. Als das Werk vollendet war, kniete Bürgermeister Holger Schlierf nieder und las die Namen der Marchands vor, die von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet worden sind. Nur Kurt Marchand war nach Argentinien "in den Tod geflohen", wie auf dem Stein steht. "Er hat sich das Leben genommen", übersetzte Klaus Braun.

Fünf Jahre hat er gebraucht, bis Demnig seine Spurensteine auch in Hamminkeln legen konnte. Sponsoren, die für einen Erinnerungsstein 95 Euro stifteten, fanden sich schnell. Unter den Spendern ist der Männergesangverein "Bleib treu". Dessen Vorsitzender hieß von 1914 bis 1925 Jakob Marchand, der mit seiner Familie nahe der heutigen Friedenshalle gelebt hat. Hier wurden ebenso Stolpersteine verlegt wie vorm Modehaus Bückmann an der Marktstraße, wo David und Adele Marchand und ihre fünf Kinder wohnten.

100 Erinnerungsstücke möglich

Von Hamminkeln fuhr Demnig zügig weiter nach Wesel. Zunächst legte der Künstler in Büderich an der Brauerstraße 26 sechs Steine ins Pflaster. Die Erinnerung an die Familie Herz, Viehhändler des Ortes, hält der Heimatverein Büderich mit seiner Spende wach. Die Mitglieder sorgten außerdem für einen Pavillon, so dass Demnig im Trocknen arbeiten konnte.

Über die Rheinbrücke führte der Weg der Erinnerung zurück in die Weseler Innenstadt zur Bismarckstraße. Dort — wenige Meter entfernt von den in 2009 verlegten Stolpersteinen der Familie Kohlmann — sind es nun die Mitglieder der jüdischen Familie David, derer die Stadt gedenkt. "In Wesel lebten über 100 Juden", berichtete Doris Rulofs-Terfurth vom Stadtarchiv. Dort wurde in Akten nach einzelnen Familienschicksalen geforscht. "Die 16 Steine heute sind erst der Auftakt des Erinnerns. Sobald die Fußgängerzone umgestaltet ist, sollen dort weitere Steine verlegt werden."

Oberstufenschüler der Lauerhaas-Gesamtschule und des Andreas-Vesalius-Gymnasiums übernahmen gestern zum zweiten Mal eine Stolperstein-Patenschaft. An der Pastor-Bölitz-Straße wird nun an Paulina Günther erinnert, die bis Mitte der 30er Jahre in Wesel lebte und von den Nazis ermordet wurde. Wenige Schritte weiter ist es Ursula Dannenberg, die von 1933 bis 35 das Lyzeum (heute AVG) besuchte. Sie überlebte den Kindertransport nach England. Mutter Else und Vater Josef starben in Izbica.

(RP)
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