Wesel/Münster Berufswunsch Priester

Wesel/Münster · Moritz Hemsteg möchte Pfarrer werden. Was treibt einen 24-Jährigen an, dieses ungewöhnliche Ziel zu verfolgen? Wie reformbedürftig ist aus der Sicht eines jungen Mannes die Kirche? Und was hält er eigentlich vom Zölibat?

 Moritz Hemsteg in Münster. Der gebürtige Weseler will Priester werden. "Glaube ist Wagemut, Tradition, Gruppendynamik. Für mein Leben kann ich Glaube und Vernunft übereinander bringen."

Moritz Hemsteg in Münster. Der gebürtige Weseler will Priester werden. "Glaube ist Wagemut, Tradition, Gruppendynamik. Für mein Leben kann ich Glaube und Vernunft übereinander bringen."

Foto: MH

Die Frage liegt natürlich auf der Hand und Moritz Hemsteg würde seinen Gegenüber anlügen, wenn er sie als originell bezeichnete: Wie kommt man als junger Mann dazu, Pfarrer zu werden? Hemsteg macht auf seine Gesprächspartner den Eindruck, mitten im Leben zu stehen. Er trägt moderne Kleidung, lacht gerne, kann bissig-ironisch sein. Und so jemand will sein Leben ganz Gott widmen? "Ich sehe mich nicht so sehr als Ausnahme", sagt der 24-jährige gebürtige Weseler. Und dann verweist er auf all die anderen besonderen Biografien der Typen aus seiner Schulklasse: "Ich war nur einer von vielen Freaks. Da waren andere, die liefen jeden Tag im Kilt rum, wieder andere hörten ungewöhnliche Musik." Also habe es unter seinen Freunden niemanden wirklich erstaunt, als er seinen Berufswunsch angab, wobei: Es gab anfangs zwei Berufswünsche: "Bundestagsabgeordneter oder Kardinal." Inzwischen hat sich der 24-Jährige festgelegt: "Ich möchte Pfarrer werden." Bei Moritz Hemsteg weiß man es jedoch nicht. Vielleicht kombiniert er irgendwann beides, vielleicht wird er auch Geistlicher im Deutschen Bundestag.

Junge Männer als Priester - in Deutschland ist das mittlerweile die große Ausnahme. Im Bistum Münster gab es 2016 nur noch acht Priesterweihen, insgesamt in diesem Jahr in Deutschland 77. Zum Vergleich: 1962 hatte es laut Bischofskonferenz in Deutschland noch 557 Priesterweihen gegeben.

Die Geschichte mit Hemstegs besonderen Berufswunsch wird noch ungewöhnlicher, wenn man seinen familiären Hintergrund berücksichtigt. Das Elternhaus des jungen Mannes war wenig kirchlich geprägt. Der Vater ist evangelisch-reformiert, die Mutter katholisch - aber: "Kirche war bei uns zu Hause eigentlich nie ein großes Thema." Sein Großvater sei der einzige gewesen, der ihn aus der Familie religiös geprägt habe, sagt Hemsteg. Erste Kirchenerfahrung machte er als Messdiener in Hofheim, wohin die Familie nach den ersten Jahren in Wesel zog. "Samstags gab es immer einen Gottesdienst um acht Uhr morgens, dazu musste ich hochlaufen auf den Kapellenberg, auf dem sich die Kirche befand, das habe ich extrem gerne gemacht." Hemsteg mochte es, die Älteren samstags hoch zum Gottesdienst zu begleiten, mit ihnen über den Glauben zu sprechen.

Moritz Hemsteg kam auf klassischem Wege zur Priesterausbildung. Er sprach seinen Heimatpfarrer in Hofheim an, machte sich auch auf Internetseiten der Priesterseminare kundig und entschied sich im Alter von 19 Jahren, das Seminar in Frankfurt zu besuchen. Ein Bewerbungsgespräch musste er davor mit dem Regens (Leiter) führen - viele Fragen wurden ihm gestellt.

27 Bistümer gibt es in Deutschland, jedes hat ein eigenes Haus für die Priesterausbildung. Hemsteg studierte zehn Semester lang Theologie in Frankfurt an der philosophisch-theologischen Hochschule St. Georgen, unter ganz normalen Theologiestudenten, die nicht das Priesteramt anstreben. "Priester sind dort in der krassen Minderheit." Auf dem Stundenplan standen Bibelwissenschaften, Moraltheologie, Systemik, Dogmatik und Fundamentaltheologie. Gewohnt hat er in dieser Zeit im Priesterseminar. Täglich finden dort gemeinsame Gebete, Gottesdienste und Mahlzeiten statt. Man sei aber nicht verpflichtet, an diesen zwingend teilzunehmen, sagt Moritz Hemsteg. Nur am Dienstag gebe es eine Teilnahmepflicht.

Fünf Jahre dauert im Normalfall das Studium, vier Jahre ist man im Priesterseminar, dann ein Jahr außerhalb. Hemsteg ging dafür nach Boston, wo er mit dem Boston College eine renommierte Hochschule fand, "mit der besten katholisch-theologischen Fakultät der Welt", wie er sagt. Bis er tatsächlich Priester werden darf, vergehen noch ein paar Jahre: Ein Jahr Diakonamt und dann die Kaplanzeit sind vorgeschaltet.

Die Zeit im Priesterseminar habe ihn verändert. Früher sei er oft großspuriger aufgetreten, habe offensiver seinen Wunsch-Platz in der Kirche ausgesprochen, sagt Hemsteg. Heute denkt Hemsteg anders. "Als Kardinal kann man, glaube ich, am Ende doch gar nicht so viel bewegen." Er will als Seelsorger tätig sein, will zuhören, will Gottesdienste halten, nicht jeden modernen Schnickschnack in der Kirche mitmachen. In diesem Sinne kann man ihn durchaus als Konservativen bezeichnen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist die ungewöhnlichere: "Ich nehme mich nicht zu ernst. Ich bin ein ironischer Typ, ich mag Humor und Ironie. Eines meiner großen Vorbilder ist Harald Schmidt, der alte Zyniker. Das war immer meine Art des Humors."

Auf die Frage nach den Hobbys sagt Hemsteg: "Ich spiele Klavier, manchmal singe ich dabei. Aber das ist nicht mein größtes Talent. Ich bin sogar mal aus dem Chor geflogen, weil ich mich mit dem Chorleiter angelegt habe." Das Nonkonforme und die Tradition: Hemsteg kennt beide Seiten von sich - und er kann reflektiert darüber sprechen.

Moritz Hemsteg will ein Priester sein, der die Welt kennt. Er tritt ungern als Missionar auf. "Das wird oft missverstanden." Gott bedeute eben für jeden etwas anderes. "Ich bin ein Kind meiner Zeit", sagt der 24-Jährige. Nicht immer hat er im Priesterseminar an den Gottesdiensten und Gebeten im Seminar teilgenommen. Immer wieder habe er mit Freunden auch mal die Zeit in der Großstadt Frankfurt genossen. Er spielt gerne Badminton, fährt gerne Rad. Abends ausgehen im Szeneviertel Alt-Sachsenhausen, mit Freunden Clubs unsicher machen, oder die alten Kumpels in der Heimat Hofheim besuchen - auf all das hat er nicht verzichtet.

In seinem Studium hat er sich zudem in die Frankfurter Oper verliebt. Und dennoch hat er kürzlich die Stadt verlassen. In Frankfurt sei er "nicht so gut klargekommen", räumt Hemsteg ein. Er habe sich dort nicht richtig heimisch gefühlt. "Ich konnte dort nicht richtig andocken", räumt er selbstkritisch ein.

Seit Kurzem ist Moritz Hemsteg nun im Priesterseminar Münster, näher auch an der alten Heimat Wesel, wo die Großeltern wohnen. Er mag den katholisch geprägten Niederrhein, das katholische Münsterland. "Die kirchliche Kultur ist hier viel größer", sagt Hemsteg. "Hier kann ich freier arbeiten." Was er nicht sagt, aber wohl meint: Hier ist Platz für einen Typen wie ihn.

Wer mit einem angehenden Pfarrer über die Kirche spricht, der wünscht sich Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit. Wie Hemsteg als junger Mann über die Tatsache denkt, dass immer weniger junge Familien im Gottesdienst sitzen, dass fast nur noch Rentner unter den sonntäglichen Kirchgängern sind? Hemsteg sagt, dass die Kirchen, die er besucht, oft voll seien, und dass er keine Lösung darin sehe, für den Sonntag neue Formen des Gottesdienstes zu finden: Eine normale Sprache solle die Kirche pflegen. "Es darf keinen Ausverkauf der Religion als Kultur geben", fordert der junge Mann. "Die Sonntagsmesse muss so gestrickt sein, dass alle damit etwas anfangen können. Von Kleinkindergottesdiensten beispielsweise habe ich schon früher nicht viel gehalten." Stattdessen gefalle ihm der Ritus, das Wiederkehrende.

Worin überhaupt die Existenzberechtigung der Kirche in diesen Zeiten noch bestehe? Hemsteg sagt einen Satz, der auch aus dem Mund eines Bischofs kommen kann - eindeutig zweideutig. "Die Kirche antwortet auf Fragen, die keiner mehr stellt."

Dann ist da die Frage nach den Momenten des Zweifels. Ist es angesichts der vielen schlimmen Nachrichten jeden Tag noch vernünftig, als aufgeklärter Mensch an Gott zu glauben? Hemsteg sagt, dass er Zweifel an Gott nicht kennt. "Glaube ist Wagemut, Tradition, Gruppendynamik. Für mein Leben kann ich Glaube und Vernunft übereinander bringen."

Wünscht man sich als Pfarrer nicht, dass Jesus noch mal in die Welt kommt? Das würde seine Arbeit doch erleichtern. Hemsteg schmunzelt. Jesus sei einmal da gewesen, das müsse reichen. Der Rest - die Verkündigung des Glaubens - sei auch sein Job als Bodenpersonal.

Nach eineinhalb Stunden hat man das Gefühl, mit einem jungen Mann tiefergehend über Gott und die Welt gesprochen zu haben, verstanden zu haben, was einen Menschen auf der Welt einen Diener Gottes sein lassen will. Und doch ist da eine letzte Frage. Man will begreifen, wie ein Mensch sich im 21. Jahrhundert einem Beruf hingeben kann, in dem ein Zölibat - also der Verzicht auf Ehe, Sex, Kinder - gefordert wird. Wie denkt jemand wie er, so ein irdischer Typ, über das Verliebtsein, treibt so jemanden die Sorge um, sich irgendwann doch unsterblich in eine Person zu verlieben? Moritz Hemsteg antwortet überraschend offen: "Verliebtsein, das passiert schon." Aber manchmal regele das auch die räumliche Distanz. "Der Wunsch, Priester zu werden, ist stärker." Das Zölibat halte er trotz anhaltender Kritik für gerechtfertigt. "Ich habe schlimme Fälle nie erlebt, in denen Priester daran gelitten haben. Ich bin kein Feind vom Zölibat, würde es von mir aus nicht abschaffen." Wenn man es aufgebe, würde es vielleicht so etwas wie einen Zwei-Klassen-Klerus geben.

Moritz Hemsteg wirkt zufrieden in seinem Glauben. Überzeugt wirkt er, als sei die Kirche seine feste Burg, ohne Zweifel. Fast glaubt man: Wenn es mit dem Priesterjob doch nicht klappt, müsste dieser Typ eigentlich Politiker werden.

(RP)
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