Wesel Büdericher Sorge: Starkregen im Trichter

Wesel · Seit genau zehn Jahre kämpfen die Menschen im Polderdorf für Schutz vor Regenmassen. Bis zu 2,70 Meter ist der Ort durch Senkungen des Salzbergbaus abgesackt. Getan hat sich am Kanal auch nach der Flut von Münster 2014 nichts.

 Hermann Norff zeigt an der Schulstraße, wie tief Büderich hier abgesackt ist. Die Zollstockspitze liegt bei 2,70 Meter.

Hermann Norff zeigt an der Schulstraße, wie tief Büderich hier abgesackt ist. Die Zollstockspitze liegt bei 2,70 Meter.

Foto: Ekkehart Malz

Der Deich ist saniert und aufgestockt, aber die Horrorvorstellung von der "Badewanne Büderich" ist geblieben. Nicht nur die Wassermassen des Rheins schüren die Angst im Polderdorf. Auch Starkregen macht den Menschen Sorgen. Hintergrund ist die Tatsache, dass der Ort wegen der Senkungen durch den Salzbergbau mittlerweile um gut 2,70 Meter an der tiefsten Stelle abgesackt ist. So hat sich ein Trichter gebildet, der keinen Ablauf hat. Wenn es schüttet, bleibt das Wasser darin stehen. Und die Senkungen gehen weiter. Seit genau zehn Jahren kämpfen Hermann Norff und seine Mitstreiter für eine wirksame Vorbeugung. Eine Investition in ein leistungsstarkes Kanalsystem samt Pumpen und Regenwasserrückhaltebecken wäre eine Lösung. Aber Verwaltung, Politik und Bergbau ducken sich weg. Als vor fast genau einem Jahr ein Unwetter Münster unter Wasser setzte, verstärkten die Büdericher ihre Nachfragen. Mit den tröpfelnden Antworten beziehungsweise Ausflüchten sind sie bis heute nicht zufrieden. Erst müsse es einen Schadensfall geben, heißt es. Genau den wollen die Büdericher aber verhindern. Auch wenn die katholische Kirche im Ort nach den im Mai aufgetretenen Schäden bekanntlich wieder geöffnet ist, betritt Norff sie nicht. Für ihn ist der Salzbergbau der Verursacher und die Gefahr noch lange nicht gebannt.

DIE VORGESCHICHTE In den 50er/60er-Jahren erreichte der Salzbergbau des Unternehmens Solvay (heute esco) die Regionen unter Büderich. Von den Sprengungen in 800 Meter Tiefe können Zeitzeugen berichten, dass zwar die Tassen im Schrank rappelten, aber an den Gebäuden lange nichts festzustellen war. Bis irgendwann Risse kamen und auch das Grundwasser in die Keller kletterte. Denn während Büderich ganz langsam absackte, blieb der Grundwasserspiegel auf altem Niveau. Also baute die Linksniederrheinische Entwässerungsgenossenschaft (Lineg) ein gutes Dutzend Brunnen und pumpt seitdem. Übrigens hat es viele Jahre gedauert, bis eingeräumt wurde, dass es am Salzbergbau liegt. 20 Meter hoch, 20 Meter breit und Hunderte Meter lang sind die Kammern, zwischen denen in gleicher Stärke Salz stehen gelassen wird, sagt Norff. "Salz ist wie Stein" habe es immer geheißen. Und dass es sich nicht zusammendrücken lasse. Aber es fließt.

DIE ZUKUNFT "Der Pfeiler schält sich ab. So nimmt die Belastung pro Quadratzentimeter zu, und der Druck wird immer stärker", sagt der 74-Jährige. Das habe man schließlich auch den Rheindeichen angesehen, weshalb der Bergbau bei den Sanierungen mitbezahlt habe. Etwa zwei bis 3,5 Zentimeter pro Jahr sackt Büderich ab. Auf der Grundlage von Daten der Solvay hat Norff errechnet, dass dies seit dem Stopp des Abbaus fürs Dorf bislang 2,70 Meter ausmacht. Nach 150 Jahren soll untertage die Decke den Boden erreicht haben. Für Norff ist das im Jahr 2100 etwa der Fall. Büderich müsste dann insgesamt vier Meter tiefer liegen als vor dem Abbau.

 Vor fast genau einem Jahr setzte ein Unwetter Münster unter Wasser.

Vor fast genau einem Jahr setzte ein Unwetter Münster unter Wasser.

Foto: dpa

DIE AUSWIRKUNGEN Die Sorgen der Büdericher beruhen auf Erfahrungen vom Sommer 2005. Damals hatten sintflutartige Niederschläge gezeigt, wo der wegen seiner enormen Breite im Gelände kaum wahrnehmbare Trichter seine tiefsten Stellen hat: Rund um die Grundschule stand das Wasser teils knietief auf den Straßen. Ein Dutzend Anwohner wandte sich an die Politik, war aber mit Antworten damals nicht zufrieden.

DIE LÖSUNGSVERSUCHE Bereits 2005 hatte Norff sich mit Unterstützung einiger Nachbarn von der Schulstraße an die Weseler CDU gewandt. 2006 hakte er unter dem Eindruck damaliger Niederschläge wieder nach und wünschte eine Bürgerversammlung. 2014 lieferte das Unwetter von Münster die nächsten Gründe, Politik und Verwaltung anzugehen. Die Stadtwerke Wesel, so Norff, gaben sich mit ihren Berechnungen redlich Mühe und kamen zu dem Schluss, dass mit dem Kanal alles in Ordnung sei. Das will der Büdericher auch gar nicht abstreiten, doch mangelt es ihm an der Vorbeugung. Ein großes Auffangbecken für Wassermassen bei Starkregen müsse her. Am besten im Meerfeld, sagt er. Das Kanalsystem müsse ertüchtigt werden. Zum Beispiel mit einem neuen Rohrsystem, das automatisch dann das Wasser aufnimmt, wenn es im Kanal zu hoch steigt. Pumpen, für den Ernstfall auch stromunabhängig mit Diesel betrieben, müssten die Massen zu besagtem Becken und von da aus in den Rhein leiten. Das heißt: Im linksrheinischen Stadtgebiet müssten vorsorglich die Regen- und Schmutzwasser-Kanalsysteme getrennt werden. Diese Forderung ist zehn Jahre alt. "Das kostet eine Menge Geld, aber Absaufen ist teurer", sagt Norff.

DER STAND DER DINGE Eine Verbesserung des Kanals steht nicht Aussicht. Stattdessen gibt es Hinweise, doch eine Elementarschadenversicherung abzuschließen. Dass diese mit Verweis auf unklare Verursacherfragen jahrelang erstmal nicht zahlt, leitet Norff an Rheinberger Beispielen ab. Für den Büdericher aber liegt es auf der Hand, dass Solvay beziehungsweise das Zwei-Mann-Unternehmen Cavity, das dessen Folgeschäden zu regulieren hat, "wie bei der Deichsanierung mitzuwirken hat".

DER VERDACHT Bei den ihm bislang von CDU, SPD und Verwaltung vorliegende Aussagen - die jüngsten sind drei Wochen alt - kommt Norff zu dem Eindruck, dass mit Cavity gar nicht gesprochen wird. "Gibt es etwa eine Vereinbarung, dass mit der Zahlung für den Deich alles abgegolten ist? Wie ist denn überhaupt die Gesetzeslage?" fragt Norff. "Wir erwarten, dass die Verwaltung sich für Gespräche mit Cavity einsetzt, an denen wir gerne teilnehmen. Es kann nicht sein, dass die Stadt uns im Regen stehen lässt. Die Bürgermeisterin muss sich auch vorbeugend für die Bürger einsetzen."

(RP)
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