Himmel & Erde Das sind die Botschaften vom Katholikentag in Leipzig

Wesel · In einer Stadt mit einem nur verschwindend kleinen Anteil an Christen fand der 100. Deutsche Katholikentag statt. Leipzig war bewusst ausgesucht worden. Gerade einmal 14 Prozent der Leipziger gehören der evangelischen oder katholischen Kirche an. "Seht, da ist der Mensch", sagte Pilatus, als Jesus mit Dornenkrone und Purpurmantel zu ihm gebracht wurde. Nun war es Motto des Katholikentages 2016. Hinsehen und nicht wegsehen, dazu wollte das Christentreffen in einer entkirchlichten Region und in einer an Herausforderungen reichen Zeit einladen. Das Leitwort fordert uns auch über den Katholikentag hinaus auf: Kommt und seht! Ganz und gar offen wendet es sich an uns. Ein jeder ist willkommen: Der Neugierige, die Suchende, die Zweifler, der Ängstliche. Deutlich zeigt es uns, wohin wir schauen sollen: auf den Menschen. Der Mensch muss stets im Mittelpunkt stehen, wenn wir nach Antworten auf die zahlreichen Herausforderungen unserer Gegenwart suchen. Der Mensch, sein Wert und seine Würde müssen der Maßstab unseres Handels und Gestaltens sein. "Seht, da ist der Mensch" lenkt den Blick besonders auf die Leidenden und Benachteiligten, auf die Verfolgten und die Schwachen in unserer Welt. Welche Menschen sehen wir, wenn wir uns auf die Aufforderung dieses Wortes einlassen? In diesen Tagen sehen wir natürlich die Menschen ohne Heimat, gestrandet im Nirgendwo, geflüchtet vor Terror, Krieg und Gewalt. Wir sehen die über 1,5 Millionen in einem Völkermord vernichteten Armenier, die zusammen mit anderen christlichen Minderheiten vor einhundert Jahren vom Osmanischen Reich vertrieben und ermordet wurden. Mit seiner gestern verabschiedeten Resolution zum Völkermord an den Armeniern nimmt der Deutsche Bundestag diese Menschen endlich verantwortlich in den Blick. Wir sehen die über 20.000 Kinder, die in Deutschland jedes Jahr Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch werden. 130 Kinder sind 2015 in unserem Land an den Folgen der ihnen zugefügten Verletzungen gestorben. "Seht, da ist der Mensch" zwingt uns, Position zu beziehen. Auf welcher Seite stehen wir? Auf der Seite des Lebens oder der Bedrohung von Leben? Findet man uns bei den Menschenfreunden oder bei denen, die mit menschenverachtenden Parolen das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen gefährden? Verrohte, dumme und rassistische Menschen finden wir beim Islamischen Staat ebenso wie in der Pegida-Bewegung. Und dennoch: Die Zeit der großen und kleinen Menschenhasser, mögen sie nun Trump, Erdogan oder anders heißen, läuft ab. Sie sehen nur auf sich, gefangen in ihrem Größenwahn. Wer wirklich auf den Menschen sieht, wird leben. Auch das ist eine Botschaft aus Leipzig.

THOMAS BRÖDENFELD

(RP)
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