Analyse Der Kampf um den Kaiser und die Kunst

Wesel · Die Weseler Denkmal-Freunde werben zur Wiederaufstellung von Wilhelm I. für eine unvoreingenommene Bewertung.

Wesel Ohne Kompromisse erreicht man nichts. Dabei muss man über seinen Schatten springen, die eigene Ideologie ausblenden. Das zeigt sich im großen Berlin bei Versuchen zur Regierungsbildung wie im kleinen Wesel bei einer zentnerschweren Kleinigkeit. Das Beispiel hier ist der jahrzehntelange Kampf um das Kaiser-Denkmal. Wilhelm I., 1946 vor dem Bahnhof mutwillig vom Sockel gestürzt und in der Versenkung verschwunden, taucht wieder auf. Nicht so, wie der Kreis von Denkmal-Freunden es haben wollte. Aber immerhin. Dass in den teils abstoßend rigoros geführten Diskussionen der Faktor Kunst fast keine Rolle spielte, wurmt die Protagonisten des Projekts besonders. Sie machen sich für eine unvoreingenommene Bewertung stark. Die Werbung für eine neue Betrachtung des kunstgeschichtlichen Erbes beginnt am Dienstag, 30. Januar, 19 Uhr, mit der Vorstellung des Vorhabens im Kaiserhof.

Seit Mitte November ist bekannt, dass ein Schenkungsvertrag zwischen der Stadt und der Gesellschaft Denkmalpflege Wesel bR die Grundlage bildet. Die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg demolierte Skulptur aus Carrara-Marmor kommt nicht stehend, sondern liegend zurück in die Öffentlichkeit: Das ist der Kompromiss. Präsentiert wird der Kaiser vor den beiden Mörsern zwischen dem Preußen- (bald Niederrhein-) Museum und dem Haupttorgebäude der Zitadelle. Ein gläserner Sarkophag wird die Figur schützen. Als Termin vorgesehen ist der Freitag, 13. April.

Der Streit um die Wiederaufstellung des Standbilds ist einer von vielen, die in Deutschland nach dem Krieg um solche Relikte aus der Kaiserzeit geführt wurden. Er ähnelt nur scheinbar dem, der in Wesel um die Hindenburgstraße entbrannte. Der B 8-Abschnitt auf Weseler Gebiet heißt jetzt Willy-Brandt-Straße, weil Hindenburg als "Steigbügelhalter Hitlers" bei vielen in Ungnade gefallen war. So gilt auch der spätere Wilhelm I., der mit der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 den Beinamen "Kartätschen-Prinz" bekommen hatte, bis heute manchen als verdammenwürdiger Reaktionär. Nicht anders urteilen Kritiker über Reinhold Begas (1831-1911), der das 1907 aufgestellte und mit (sehr viel) privatem Geld Weseler Bürger finanzierte Kunstwerk geschaffen hatte. Das Ganze gipfelte in emotionalen Ausbrüchen im Ratssaal, wobei Gegner der Wiederaufstellung in allen Fraktionen zu finden waren.

Nun also geht es den Denkmal-Freunden um andere Betrachtungen. So soll zum einen auch jene Seite Wilhelms zur Geltung kommen, der als Schöpfer des Zweiten Deutschen Reichs die Kleinstaaterei beendete und eine Einheit schuf, die als Vorläufer der Bundesrepublik gelten mag. Zum anderen geht es um die kunstgeschichtliche Würdigung Begas'. Der Professor war ein zweifellos berühmter Bildhauer, bekannt für die besondere Gestaltung der Oberflächen und eine faszinierende Dynamik in den Skulpturen. Dies ist unter anderem an dem in Berlin wiederaufgestelltem Neptunbrunnen abzulesen, der gewiss nicht in dem Verdacht steht, Militarismus oder Großmannssucht zu verkörpern. Begas war eine prägende Figur des Berliner Neubarocks - einer heute fast vergessenen Richtung, während Neuromanik und Neugotik gesellschaftsfähig blieben. Der Künstler war erfolgreich auf Weltausstellungen in Paris und Chicago vertreten, setzte zahlreiche Szenen aus der griechischen Mythologie um, ebenso schuf er Abbilder des Universalgelehrten Alexander von Humboldt und des Dichterfürsten Schiller. Und eben auch die Siegesallee in Berlin samt Wilhelm I. dem Vorbild für das Weseler Exemplar. Die war schon von Beginn an Zielscheibe für Spott und politisch motivierte Kritik. Alles Künstlerische trat in den Hintergrund. Regelrecht abgeräumt wurden Begas-Werke nach 1945, besonders auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.

Erst 1978 begann eine Rehabilitierung des Künstlers und seiner Werke - verbunden mit der Suche nach verschollenen Stücken sowie ihrer Restaurierung und Präsentation. Geblieben ist aus Sicht der Denkmal-Freunde wie Dagmar Ewert-Kruse eine auch in Weseler Köpfen verfestigte Ablehnung. Sie spricht von einer Intoleranz gegenüber Begas, die völlig unangemessen sei, und will mit Information gegensteuern: "Damit da nicht nur die Vitrine steht und die Leute wenig oder gar nichts wissen."

Besagte Vitrine hat den Vorteil, dass die privaten Initiatoren der Denkmalpflege GbR wohl deutlich weniger Geld einsammeln müssen, als die ursprünglich geplanten rund 50.000 Euro. Denn der Sarkophag macht die aufwendigen Restaurierungen, die für eine im Freien stehende Figur nötig wären, weitgehend überflüssig.

(fws)
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