Wesel Die Schnelligkeit der Zeit fast überlistet

Wesel · Ein Fest der Klänge, eine Bejahung der Virtuosität: Die junge russische Pianistin Polina Kulikova legte in der Reihe der Klaviersommer-Konzerte einen außergewöhnlich guten Auftritt in der Aula der Musik- und Kunstschule hin.

Das war ein Tag, der Sonntag in der Musikschulaula, der dritte Klaviersommertag! Die Hörer freuten sich über das außergewöhnlich gute Konzert, richtiger, sie waren schier aus dem Häuschen; die junge russische Pianistin Polina Kulikova strahlte, dass ihr Spiel so unbeschwert gelang; die Veranstalter, Städtischer Musikverein Wesel und Musik- und Kunstschule Wesel, sowie der Vertreter der organisierenden japanischen Klavierbau-Firma Kawai freuten sich über alles. Zudem überglänzte ein wunderschöner Sommertag das Ereignis.

Es durfte allerdings auch Hochkarätiges erwartet werden. Das Programm informierte über die hervorragende Ausbildung des Talents am weltberühmten Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium und zeigte ein ungewöhnlich reiches Programm. Das alles in etwas eineinhalb Stunden? Nun, es wurden fast zwei Stunden, dazwischen eine Pause. Ein Fest der Klänge, eine Bejahung der Virtuosität, weil deren Technik zur Dienerin der Kunst und des Kunstgenusses wurde.

Mendelssohns Scherzo a capriccio in fis-Moll eilte so witzig, spritzig, esprit-geladen dahin, dass der eigene Atem kaum mithalten konnte. Zum Glück gab es Momente der Verlangsamung, aus deren Tiefen das Tempo sich kraftvoll erneuerte. Schumanns Zehn Stücke aus "Bunte Blätter", op. 99, begegneten zunächst mit ruhigem Melodienfluss, bis plötzlich die Wildheit der Jugend hervorbrach. Eine Novellete, eine balladenartige Erzählung, danach ein Präludium, also eine Vorausweisung, beendeten Schumanns Stück.

Wie sich Johannes Brahms mit seinen Variationen über ein Thema von Paganini, op. 35,1, in die musikalische Kreativität des legendären italienischen Geigenvirtuosen hineingekniet hat, übersprang geradezu, oft in der Höhe tirilierend, die Hörer vehement. Die Pianistin schien ja die Schnelligkeit der Zeit zu überlisten, so flogen ihre Finger über die Tasten, klaubten bestimmende Tonverbindungen auf, erzwangen wilde Harmonien. Die Klangfarbe änderte sich, wurde dunkler, das Tempo ein wenig verhaltener: Der norddeutsche Brahms kam bei sich selbst an. - Pause.

Und dann 12 Preludes from op. 11 des Russen Scriabin. Da atmete die Musik Weite, die Unendlichkeit Nordasiens oder der Ozeane. Kostbare Hör-Erfahrungen. Die wurden rhythmisch vertieft in Strawinskys Drei Sätzen aus dem Ballett "Petruschka". Darin die Urkraft eines bäuerlichen russischen Tanzes, quasi hölzern verfremdet, weil die Holzpuppe "Petruschka" einem traurigen Clown ähnelt. In Petruschkas Stube zersplitterte dessen Hoffnung auf Liebe, auf dem Fastnachtsjahrmarkt schlenkerte die Holzpuppe durch das überbordende Gewühl der bunten Menge. Leonid Desjatnikow, geboren 1955, notierte "Nachklänge aus dem Theater" von der Ouvertüre über das Amüsement des Vaudeville, der Munterkeit des Rundtanzes, der leisen Glöckchenmelodie.

Ganz großer Applaus nach dem Konzert.

(RP)
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