Wesel Die Seele des freien Baltikums in der Bislicher Kirche

Wesel · Exicon begeistert mit außergewöhnlicher Chormusik.

Noch nicht einmal ein Atemzug war zu hören, nur lebensvolle Stille am Sonntagabend in der Bislicher St.-Johannes-Kirche. Intuitives harmonisches Verwandeln der Alltagspositionen in die geistige Nähe des Leben schaffenden Wunders Welt, unbegreiflich bei aller Gewissheit der Teilhabe. Exicon, ein niederländisch-deutsches Vocal-Ensemble aus dem nahen Grenzraum, konzertierte. Elf ausgebildete Musiker, Chorsänger, Instrumentalisten und eine Organistin, verbanden sich 1984, um außergewöhnliche Chormusik, a-cappella oder instrumental begleitet, darzubieten.

"Die Baltische Seele" nach dem gleichnamigen Buch des niederländischen Autors Jan Brocken war zur intensiven Auszeit entwickelt. Litauer, Letten und Esten sind singende Völker. Singend haben sie ihre Freiheit erkämpft. Die Musik ist ihre Sprache. "Omnis terra adoret te", Psalm 65 vertont von Vytautas Miskinis, bekannte tiefe Gläubigkeit, strahlte auf im "Gloria". "Engelu taures" von Indra Rise spielte die aus Lettland stammende Organistin Liga Vilmane auf der Orgel. Was bedeutete, dass sie dem Bislicher Instrument dessen ganz eigene Lautgestalt ermöglichte. Die erste Lesung aus dem erwähnten Buch berichtete von der litauischen Arbeiterin Loreta, die bei einer singenden Demonstration in Vilnius zu Tode kam, als Gorbatschow begann, die sowjetische Herrschaft zu lockern.

"Püha" (Sanctus) aus der "Eesti missa" von Urmas Sisask betete ein sanfter Sopran im Kirchenraum, in den sich zuvor unauffällig alle Sänger verteilt hatten. Der Gesang schwoll an, ergriff alle Stimmen und ballte sich mit der Orgel und einem taktklopfenden Tambourin zum siegenden "Jumala Tall" (Agnus Dei). Von der im 19. und 20. Jahrhundert noch Deutsch sprechenden Stadt Riga, wo der Geiger Gidon Kremer aufwuchs, erzählte die nächste Lesung. Diese wurde von Peteris Vasks' verklanglichtem "Pater noster" beschlossen. Danach bezauberte das Experiment "Stars": eine entrückende vielstimmige Musik von kreisenden Fingern auf den Rändern von wassergefüllten Trinkgläsern. Arvo Pärts froh aufbrechende "Cantate Domino" (Chor, Orgel, Tenor-Solo) öffnete ein Fenster zur Ewigkeit. Eine Lesung berichtete von Pärts langjähriger Suche nach seiner eigenen geistigen Melodie. Die hörten Bürgermeisterin Ulrike Westkamp und Wesels Ehrenbürger Ernest Kolman mit. Zum Schluss stehender Applaus.

(RP)
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