Niederrhein Eine Brille für die virtuelle Welt

Niederrhein · Mit einer Spezialbrille sollen Fahrgäste von Achterbahnen eines Tages selbst auswählen, durch welche Traumwelt sie rasen. Prof. Maic Masuch von der Uni Duisburg-Essen hält die Brille noch nicht für massentauglich. Aber, wer weiß?

Plötzlich gibt es einen Ruck. Die Schienen enden, der Wagen schießt zwischen Steinzacken und Bergwerksgeröll hindurch und stürzt in den feurigen Abgrund. Zumindest sieht es für Gäste einer Achterbahn im Europa-Park in Rust bei Freiburg so aus. Mithilfe von Spezialbrillen, sogenannten Virtual-Reality-Brillen (VR-Brillen), sollen Besucher wählen können, ob sie durch Asteroidenfelder im Weltraum, Meereswelten oder die Wüste rauschen.

Skurril wirkt es, wenn Besucher mit großen, futuristisch anmutenden Brillen in den Reihen sitzen und staunend die Köpfe bewegen. Sie können sich in der virtuellen Welt umschauen und umdrehen. In dieser Form sei das eine Weltneuheit, sagen die Entwickler. "Achterbahn fahren konnte man mit den VR-Brillen schon länger", sagt Initiator Thomas Wagner. Der Haken: "Die Leute saßen mit ihrer Brille in ihrer Wohnung, vielen ist schlecht geworden, weil die tatsächliche Bewegung - keine - mit der auf dem Bild nicht übereingestimmt hat." So wollte der Spieleentwickler die Brille auf einer Achterbahn testen.

"Eigentlich ist eine solche Brille nichts weiter als ein normaler Monitor", sagt VR-Forscher Prof. Maic Masuch von der Universität Duisburg-Essen (UDE). Bei einer VR-Brille habe der Träger keine Außenwahrnehmung und glaube, er sei physisch im Film. "Das täuscht das Bewusstsein", sagt er. Schon in den 1960er Jahren habe es solche Brillen gegeben. Aber erst jetzt werden sie massentauglich. Masuch will herausfinden, wie man die Cyber-Sickness - ähnlich wie Reiseübelkeit -, die bei solchen Anwendungen auftritt, vermeiden kann und wie man sich in solchen Welten bewegt. Er geht davon aus, dass die Brille vor allem von der Unterhaltungsindustrie genutzt wird - "für Spiele, aber auch für die Pornoindustrie könnte die Technologie interessant sein", sagt er.

Die Tourismus-Branche hat auch großes Interesse. Turkish Airlines hat eine Anwendung entwickelt, mit der Reisende aus der Ferne eine Lounge im Istanbuler Flughafen erkunden können. Die Brillen könnten auch zur lebensnahen Auswahl des passenden Reiseziels dienen, sagt Erdem Uen von der Fluggesellschaft.

Spieleentwickler Wagner träumt davon, Bewegungen und Spiele zu verbinden. "Zum Beispiel Felsbrocken abschießen während der Fahrt", sagt er. Damit sollen nicht die Achterbahnen abgelöst werden. "Der Kick reicht immer noch", sagt Christian von Elverfeldt vom Achterbahnhersteller Mack Rides. Es gehe aber darum, Geschichten mit einer Dramaturgie zu erzählen. Mit dem Achterbahnhersteller habe man die Bahn digital nachmodelliert, sagt Wagner. "Wir fahren die Bahn aber nicht nach, sondern nutzen die vorhandenen Bewegungen und verstärken sie." Mittlerweile ist aus dem Experiment eine Geschäftsidee geworden. Auf drei Kontinenten sind die Macher von VR-Rides nach eigenen Angaben mit Interessenten im Gespräch. "Vor allem für kleinere Parks wäre das interessant, denn eine kleine Bahn mit einem Thema toll zu gestalten, das kostet viel", sagt von Elverfeldt. Mit VR-Brille genüge eine bloße Halle.

(RP)
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