Rp-Serie Unser Büdchen (folge 1) "Eine gemischte Tüte für'n Euro, bitte!"

Wesel · Diesen Satz hört Sabine Schmidt* etliche Male am Tag. Denn seit sieben Jahren betreibt sie am Marien-Hospital ihren Kiosk.

 An Auswahl mangelt es im Kiosk nicht. Vor allem den Kindern fällt es vor dem Fenster oft schwer, sich zu entscheiden.

An Auswahl mangelt es im Kiosk nicht. Vor allem den Kindern fällt es vor dem Fenster oft schwer, sich zu entscheiden.

Foto: Ekkehart Malz

WESEL Schade eigentlich, dass die meisten von Sabine Schmidts Kunden draußen vom kleinen Fenster aus ihre Zeitungen, Süßigkeiten oder Zigaretten kaufen. Denn den kleinen Teppich im Inneren des Kiosks bekommen sie dann nicht zu sehen. Darauf steht "Willkommen König Kunde!", der tägliche Leitsatz für die Inhaberin und ihre Mitarbeiter. Eine reine Verkäuferin ist die 44-Jährige jedoch nicht - für einige ihrer Kunden ist sie sogar eine seelische Stütze.

Kiosk-Verkäuferin, das ist offensichtlich ein Knochenjob. In dem knapp 15 Quadratmeter großen Kiosk türmt sich die Ware über mehrere Regale bis an die Decke. Deshalb braucht Sabine Schmidt eine Leiter, um neue Lollys, Brause und Gummibänder aus den Vorratsbehältern zu holen. Wieder unten angekommen, geht dann schnell die Ware über die Theke - freundliches Lächeln inklusive - das Kleingeld in die Kasse und sofort klettert sie wieder nach oben zum nächsten zwei Meter hoch gelegenen Regal. Die Zeit am Boden verbringt sie damit, einen kurzen Plausch mit ihren Stammkunden zu halten oder die Süßigkeiten-Gläser sorgfältig auszuwischen. "Hygiene wird hier groß geschrieben", sagt Schmidt. Jeder Lappen wird nur einmal benutzt und dann weggeschmissen.

 "Willkommen König Kunde!" - das ist der Leitsatz für die Besitzerin des Kiosks nahe des Marien-Hospitals.

"Willkommen König Kunde!" - das ist der Leitsatz für die Besitzerin des Kiosks nahe des Marien-Hospitals.

Foto: Malz, Ekkehart (ema)

Diese Routine hat Sabine Schmidt jeden Tag von 7 Uhr morgens bis in den frühen Abend, ohne Mittagspause. "Natürlich ist das oft sehr anstrengend", sagt sie. "Wenn ich abends nach Hause komme, bin ich ziemlich geschafft. Aber ich komme trotzdem morgens immer wieder fröhlich zur Arbeit. Ich bin gerne Verkäuferin." Als gelernte Einzelhandelskauffrau hat sie das auch im Blut. Schmidt weiß, was ihre Kunden gerne mögen, besonders die kleinen. "Jetzt, wo das Sommerwetter langsam kommt, ist Wassereis im Trend", sagt sie. "Besonders gut gehen die Sorten Cola und Brombeere."

Aber der Dauerbrenner ist und bleibt: die gemischte Tüte. "Das war immer so und daran wird sich auch nichts ändern", so die Verkäuferin. "Die Kinder lieben es, sich ihre Süßigkeiten aus den vielen Gläsern selbst zusammenzustellen." Dabei seien es nicht die Formen oder Geschmacksrichtungen, sondern die Farben, die den Unterschied ausmachen. Rot und Blau seien die Appetit-Anreger.

Ein Blick in die Tüte, die sich der 13-jährige Paul gerade gekauft hat, verrät: Sabine Schmidt hat recht. Für einen Euro stapeln sich darin leuchtend rote Weingummis. "Das muss nach der Schule einfach sein", sagt er. "Das gesunde Essen kommt nachher Zuhause eh noch." Sein Kumpel Fuat mag es etwas extravaganter: Saure Streifen für 1,40 Euro schlängeln sich durch seine Tüte. Warum eigentlich kein Eis bei diesem warmen Wetter? "Nö", meint der Zwölfjährige. "Die gemischte Tüte ist viel besser."

Die Kinder mögen Sabine Schmidt, weil sie sich Zeit für sie nimmt, sich manchmal sogar nach ihrem Schultag erkundigt. "Und wenn die Kinder etwas auf der Seele haben, reden wir darüber", sagt sie. Sogar einen kleinen Verehrer hatte die Kiosk-Verkäuferin schon. "Eine Zeit lang kam ein Junge jeden Morgen mit seinem Roller zur Tür herein und begrüßte mich mit ,Hallo meine Freundin'", sagt Schmidt. "Das war schon sehr süß." Aber nicht nur Kinder bekommen neben Süßigkeiten ein paar warme Worte mit auf den Weg. Viele Senioren aus dem benachbarten Krankenhaus kaufen im Kiosk ein und plaudern mit der Verkäuferin, manchmal auch über ihre Sorgen. "Da geht es um die Magenspiegelung, eine Operation oder die neue Brille", sagt Schmidt. "Wenn es ernstere Dinge sind, mache ich meinen älteren Kunden immer Mut und rede ihnen gut zu. Das braucht ja jeder mal. "

Wenn Kiosk-Verkäuferin schon der Traumjob ist, welche Träume hat Sabine Schmidt dann überhaupt noch? "Also wenn ich ganz ehrlich bin", sagt sie mit leiser Stimme, "ein größerer eigener Laden, das wäre schon toll." Ein Ort, wo die Leute hereinkommen und verweilen können, mit Theke und Bänken - dort könnte Sabine Schmidt noch viel mehr mit ihren Kunden sprechen. "Und für sie da sein, wenn sie Kummer haben."

* NAME VON DER REDAKTION GEÄNDERT

(RP)
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