Wesel "Geschichte kann sich wiederholen"

Wesel · Ernest Kolman, letzter überlebender männlicher Jude der Hansestadt, sprach zum 78. Jahrestag der Pogromnacht.

 Wolfgang Jung (Jüdisch-christlicher Freundeskreis), Birgit Nuyken (stellvertretende Bürgermeisterin), Ehrenbürger Ernest Kolman und der Erste Beigeordnete Daniel Kunstleben (v.l.) bei der Gedenkfeier im Centrum

Wolfgang Jung (Jüdisch-christlicher Freundeskreis), Birgit Nuyken (stellvertretende Bürgermeisterin), Ehrenbürger Ernest Kolman und der Erste Beigeordnete Daniel Kunstleben (v.l.) bei der Gedenkfeier im Centrum

Foto: Markus Joosten

"Bilder können uns helfen, dem Unerklärlichen näher zu kommen" - es sind aussagekräftige Worte, mit denen die Besucher im Centrum begrüßt wurden. Sie alle haben sich versammelt, um an das Unvergessliche zu erinnern. Im Rahmen des 78. Jahrestages der Pogromnacht präsentiert Künstlerin Laula Plaßmann ihre neue Ausstellung, die den Namen "So - oder So ist das Leben" trägt.

Die Portraits stechen bei dem schlicht gehaltenen schwarzen Hintergrund deutlich hervor, die Gesichter sind oftmals von Schmerz oder Trauer erfüllt. Plaßmann verewigte ihre jüdische Familie, die im Krieg ermordet wurde und die sie selbst nie kennenlernen durfte. "Man sieht eine Mischung aus Bestürzung und Freude", erklärt der Pädagoge und Maler Christian Heeck. "Man gestaltet ein anderes Ich in vielen anderen Personen." In und auf den Bilderrahmen liegen Steine. In der jüdischen Kultur ist es Sitte, kleine Steine auf Grabsteine zu legen. Neben der Erinnerung stand auch der Erhalt demokratischer und menschlicher Werte im Vordergrund.

Die Botschaft der Gedenknacht war deutlich: "Geschichte, die von Menschen gemacht wurde, kann sich wiederholen." Denn viel zu oft erinnern brennende Flüchtlingsheime an die angezündeten Synagogen in der Pogromnacht. Der Weseler Musiker Fulbert Slenczka begleitete die Veranstaltung. Besonders gespannt warteten die Besucher auf einen Gast, der wieder einmal den Weg nach Wesel auf sich nahm. Mit seinen 90 Jahren wirkt er etwas unsicher auf den Beinen, seine Worte jedoch sind klar und deutlich. "Es brauchte immer ein schwarzes Schaf, einen Bock, dem man seine Sünden geben kann", verkündet Ernest Kolman, gebürtig Ernst Kohlmann. Der Ehrenbürger Wesels ist der letzte überlebende männliche Jude der Hansestadt. Bereits zum 26. Mal reiste er aus seiner Heimat Großbritannien nach Deutschland, immer zum selben Datum. Auch an diesem Jahrestag der Pogromnacht erinnert er an die Leidensgeschichte der Juden, die er selbst auf schmerzliche Weise durchleben musste. Seine Eltern starben im Konzentrationslager, Kolman gelang als Kind die Flucht nach England. An die historische Novembernacht im Jahr 1938 erinnert er sich auch nach 78 Jahren. Kolmans Familie lebte vier Häuser von der Synagoge entfernt, die später in Flammen stand. "Angst schwebte über der Wohnung", berichtet Kolman, der das Geschehen vom Fenster aus beobachten konnte.

Applaus für Kolman, der sich auch mit 90 noch gegen das Vergessen einsetzt, ehe es für die Besucher raus in die Kälte ging. Mit Kerzen machten sie sich auf den Weg zum Lichtergang zum jüdischen Mahnmal am Willibrordi-Dom.

(yb)
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