Wesel Hilferufe kommen weit vor Zeugnistagen

Wesel · Jetzt ist wieder die Zeit der Sorgentelefone. Die Regionale Schulberatung aber ist schon nach Elternsprechtagen gefragt.

Wesel: Hilferufe kommen weit vor Zeugnistagen
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Ein Intensivkursus "Wirtschaftschinesisch für Dreijährige" ist in den Kindergärten noch nicht im Angebot. Aber es kann nicht mehr lange dauern. Bildung wird heute ein so hoher Stellenwert beigemessen, dass von einem Aufwachsen im herkömmlichen Sinne nicht mehr die Rede sein kann. Die Verschulung des Lebens wird durch den Ganztag schon früh trainiert und mit G8 auf die Spitze getrieben. Sportvereine spüren das schon seit Jahren, denn Kinder und Jugendliche haben kaum noch Zeit für außerschulische Aktivitäten. Das gilt auch für Studenten, die in Windeseile zu Abschlüssen fragwürdiger Qualität getrieben werden und außer dem Umgang mit Kommunikationstechnik kaum Fähigkeiten entwickeln oder Neigungen entdecken können. Dem Leistungsdruck ist naturgemäß nicht jeder gewachsen. Nicht ohne Grund werden auch jetzt wieder zur Übergabe der Halbjahreszeugnisse die Sorgentelefone zu schulpsychologischen Experten geschaltet. In Anspruch genommen wird dieses Angebot jedoch deutlich geringer, als man erwarten könnte.

"An den Zeugnistagen rufen nur vereinzelt Ratsuchende an. Zum Beispiel, wenn Noten ganz anders ausgefallen sind, als es erwartet worden war", sagt Alexandra Schirm. Die 47-jährige Diplompsychologin ist seit Gründung der Regionalen Schulberatungsstelle (RSB) beim Kreis Wesel 2003 dabei und seit September deren Leiterin. Ein vergleichsweise ruhiges Geschäft an den Ausgabetage ist für sie ein Zeichen dafür, dass die Schulen gut kommunizieren, Schülern und Eltern in der Regel die Beurteilung bekannt ist. Eher nach den Elternsprechtagen Ende November, so sagt sie, würden sich die Anfragen unter der Telefonnummer 0281 207 2228 bei der RBS häufen. Und das nicht unbedingt von Kindern oder Jugendlichen, sondern von Eltern und Lehrkräften.

Natürlich können sich Schüler in Not bei der RSB melden. Zum Beispiel, wenn sie Bammel haben, mit ihrem Zeugnis nach Hause zu gehen. Das komme auch vor, sagt Alexandra Schirm, doch seien es dann meist Jugendliche, die den Beratern schon bekannt sind, also Bezugspunkte haben und Ansprechpartner kennen. Die RSB bietet Beratungsprozesse. Niederschwellig, ohne Therapie, werden Schritt für Schritt Probleme behandelt. Das meiste läuft über Termine.

Der Bedarf ist da. Im Schuljahr 2014/15 wurden 293 aus dem Vorjahr übernommene Fälle weitergeführt. Hinzu kamen 217 Neuanmeldungen. "Teilweise waren es zeitgleich 300 laufende Fälle", sagt Alexandra Schirm. Das bislang mit vier Vollzeitstellen ausgestattete Team bekommt derzeit eine weitere Kraft hinzu, deren Schwerpunkt die Arbeit mit beziehungsweise für Flüchtlinge (Stichwort Integration durch Bildung) sein wird. Zuständig ist die RSB im Kreis Wesel für 149 Schulen aller Formen von der Grundschule bis zum Berufskolleg.

Ob Ängstlichkeit oder Aggressivität: Auffälliges Verhalten ist weiterhin die Hauptursache für das Einschalten der Beratungsstelle. Gefolgt von Lernschwierigkeiten. Hier reicht die Bandbreite von der Dyskalkulie bis zur Lese-Rechtschreib-Schwäche, vom plötzlichen Leistungsabfall bis zur Hochbegabung.

Auf die Frage nach wachsenden Belastungen für die Schüler in der Zeit ihrer 14-jährigen Erfahrung in der Beratungsstelle sagt Schirm, dass manche unter G8 leiden, während andere es locker meistern. "Es liegt am Individuum. Ich bin oft erstaunt, wie gut Gymnasiasten G8 packen und sich organisieren."

(RP)
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