Wesel "Ich will Gerechtigkeit für meinen Bruder"

Wesel · Der Weseler Christoph Brauer stirbt im Oktober 2017 nach einer Festnahme durch die Polizei. Die Schwester des Toten glaubt an einen Fehler der Beamten. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren aber eingestellt. Es ist der verzweifelte Kampf um die Ehre eines Mannes, den in Wesel viele ständig sahen - aber nicht richtig kannten.

Wesel: "Ich will Gerechtigkeit für meinen Bruder"
Foto: Stephanie Stumpf

Christoph Brauer war in Wesel kein Unbekannter. Er redete oft wirr auf der Straße, legte sich auf die Wiese und schaute in die Luft. Immer wieder erschraken Menschen, wenn sie ihn auf der Straße sahen, meldeten dies der Polizei. Den Weseler Polizisten war Christoph Brauer also bekannt. Wen auch immer man bei der Polizei befragt, stets lautet das Urteil: verwirrt, aber nicht gefährlich. "Psychisch auffällig" hieß es bei der Polizei auch, als der ungewöhnliche Tod des damals 43-Jährigen mitgeteilt wurde. Christoph Brauer ist nicht unter normalen Umständen gestorben. Fest steht, dass er in einem Krankenhaus starb. Fest steht auch, dass er an diesem 18. Oktober 2017 vorher von Weseler Polizisten in Gewahrsam genommen wurde. Warum er aber sein Leben verlor, was genau geschah, das ist zumindest für Stephanie Stumpf (41), die Schwester von Christoph Brauer, immer noch nicht abschließend geklärt.

Die Polizei Wesel, Gegenstand der Ermittlung, befindet sich in der misslichen Lage, von Rechts wegen nichts sagen zu dürfen. Die Staatsanwaltschaft war mit diesem Fall befasst. Aus der Sicht der Duisburger Staatsanwälte haben die Polizisten keinen Fehler gemacht. Und dennoch gibt Stephanie Stumpf keine Ruhe. Sie kämpft für die Ehre ihres verstorbenen Bruders - und will damit auch das Bild korrigieren, das viele Weseler von ihm gehabt haben könnten.

Bei Facebook sucht sie in diesen Tagen nach Zeugen, wendet sich immer wieder auch an die Medien. "Ich will Gerechtigkeit für meinen Bruder", sagt die Düsseldorferin. "43 ist doch kein Alter zum Sterben." Es ist aber auch der Versuch, den Weselern zu erklären, wer ihr Bruder war. "Viele dachten, dass er Drogen nähme oder betrunken war, wenn er laut rufend durch die Stadt lief. Das war aber nicht so", sagt Stephanie Stumpf. Ihr Bruder habe an Schizophrenie gelitten, habe Stimmen gehört. Beide hätten ein schwieriges Elternhaus gehabt, deutet sie an. Christoph Brauer habe schon in Kindertagen Angst gehabt, vergiftet zu werden. "Er hat zum Beispiel nur aus geschlossenen Milchtüten getrunken." Mit körperlicher Nähe habe er ein Problem gehabt. "Nur bei seiner Oma und mir hat er das zugelassen." Ein guter Mensch sei er gewesen. Und sie als Schwester habe sich ihm immer sehr verbunden gefühlt - obwohl sie ihm nicht immer nah war. "Mein Bruder wusste immer, dass ich mich für ihn einsetze, wenn es ihm schlecht geht." Dass ihn viele mochten, dass Christoph Verbündete hatte, macht sie auch an der Beerdigung fest. "Mein Bruder war zwar aus der Kirche ausgetreten, dennoch sorgte die Kirche für eine Beerdigung. Das gibt es auch nicht so oft." Jeder habe gewusst, dass ihr Bruder nicht gewalttätig ist, dass er keinem etwas antut.

Bisher ist dieser Fall nur aus der Perspektive der Polizei erzählt worden. In ihrer Pressemitteilung vom 19. Oktober, 15.37 Uhr, steht:

"Wesel (ots) - Zwei Frauen alarmierten am Mittwochabend (18. Oktober) gegen 18 Uhr die Polizei, als sie auf der Trappstraße (Höhe Isselstraße) einen Mann nur halb bekleidet herumlaufen sahen. Die Einsatzkräfte trafen auf einen 43-jährigen orientierungslosen Mann. Sie wollten ihn zu seinem Schutz ins Polizeigewahrsam zu bringen. Da der hilflose Weseler nicht mit wollte, legten ihm die Beamten die Handfessel an. Plötzlich brach der Mann, der sich bereits übergeben und eingenässt hatte, bewusstlos zusammen. Der Notarzt wurde angefordert und die Beamten reanimierten den 43-Jährigen bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes. Der Mann kam ins Krankenhaus, wo er zwei Stunden später starb. Die von der Staatsanwaltschaft Duisburg angeordnete Obduktion hat am Donnerstagmittag stattgefunden und ergab, dass der Mann an einer medizinischen Ursache gestorben ist."

Auf Anfrage unserer Redaktion teilte die Polizei - da liegt der Fall schon bei der Polizei in Duisburg, weil in solchen Fällen nie die Polizei vor Ort die Ermittlung übernimmt - später mit, dass der Mann stadtbekannt gewesen sei. "Wir können ausschließen, dass die Kollegen falsch gehandelt haben", sagte damals die Duisburger Polizeisprecherin. Die Beamten hätten den Notarzt gerufen und den 43-Jährigen bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes zu reanimieren versucht. Der Rettungsdienst habe ihn in das Marien-Hospital gebracht, wo der Mann zwei Stunden später verstarb.

Einige Teile dieser Geschichte will Stephanie Stumpf so nicht glauben. Sie hat nachher Gespräche geführt, mit Pflegern im Vinzenz-Krankenhaus Dinslaken geredet, inzwischen auch eine Zeugin selbst gesprochen, die dabei war, als die Polizisten Christoph Brauer wiederzubeleben versuchten. Stephanie Stumpf glaubt, dass die Polizisten in diesem Fall falsch gehandelt haben.

54, 31 und 22 Jahre waren die Polizisten alt, die an diesem Tag zur Isselstraße fuhren, nachdem sie durch eine Zeugin alarmiert worden waren. Christoph Brauer soll bei Eintreffen der Beamten die Hose schon wieder getragen haben. "Er muss stark verwirrt gewesen sein", sagt Schwester Stephanie Stumpf. Die Polizei habe ihren Bruder dann zu Fuß zur Wohnung gebracht. Ihr Bruder sei schließlich wieder rausgegangen, sei in Richtung eines Kiosks gelaufen, ohne auf den Verkehr zu achten. "Das machte er öfter." Die Polizei habe ihn daraufhin in Gewahrsam nehmen wollen. Der Bruder habe sich gewehrt und habe dann erbrochen.

Die Beamten hätten ihn dann an den Polizeiwagen gelehnt und Fesseln anlegen wollen. Schwallartig habe der Bruder dann weiter erbrochen, sei blau angelaufen und zusammengesackt. "So steht es alles im Ermittlungsbericht", sagt Stephanie Stumpf. Sie ist bemüht, auch den Obduktionsbericht in diesem Fall zu erhalten. "Den bekomme ich aber noch nicht." Die Düsseldorferin, dreifache Mutter, ist Rechtsfachwirtin, kennt sich mit juristischen Themen aus. Auch aus dieser Motivation heraus berührt sie das Thema.

Die Zeugin, eine Ersthelferin des DRK, habe ausgesagt, das zwei Polizisten abwechselnd bei der Herzmassage gedrückt hätten, aber keiner beatmet hätte. Beide Polizisten hätten auch nicht den richtigen Druckpunkt und die richtige Drucktiefe erwischt. Stattdessen hätten sie in den Bauch gedrückt, schwallartig sei Erbrochenes herausgekommen. Als der Rettungswagen kam, habe sie gesagt, dass das Erbrochene schnell abgesaugt werden müsse. Der Helfer habe aber gesagt, dass er sich damit nicht auskenne. Die später eintreffende Notärztin habe dann auch mehrere Anläufe gebraucht, um eine Infusion zu legen. Einmal sei eine Nadel abgebrochen. Dann habe es nur noch eine Nadel für Kinder gegeben. Insgesamt, so Stephanie Stumpf, seien die Rettungsversuche wohl dilettantisch verlaufen. Ihr Bruder hätte sofort einen Rettungswagen gebraucht. Das hätten die Polizisten aber nicht erkannt. Schlussendlich starb ihr Bruder an Herzversagen im Marien-Hospital. Daran zweifelt Stephanie Stumpf wiederum nicht. "Die Vitalfunktionen können vorher nachgelassen haben. Die Magenprobleme haben sich wahrscheinlich auf das Herz ausgewirkt."

36 Stunden nach dem Tod des Bruders erfuhr Stephanie Stumpf von dem Fall. Dass der Fall jetzt zu den Akten gelegt werden soll, lässt sie nicht ruhen. Stutzig gemacht habe sie etwa, dass einer der Polizisten behauptet habe, ihm sei gesagt worden, dass ihr Bruder Hepatitis C habe. "Das stimmt nicht, das hätte ich gewusst."

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft Duisburg ist der Fall beendet. "Das Verfahren ist eingestellt", teilte Staatsanwaltschaft Alexander Bayer mit. Die Schwester des Verstorbenen habe über ihren Anwalt Beschwerde eingelegt. "Eine Begründung der Beschwerde wird derzeit noch abgewartet. Sollte eine Beschwerdebegründung bis Mitte April 2018 eingehen, wird diese hier geprüft und gegebenenfalls werden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Sollte keine Beschwerdebegründung eingehen oder keine neue Bewertung der Sach-und Rechtslage begründen, wird das Verfahren zur Entscheidung über die Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf vorgelegt." Das Verfahren sei eingestellt worden, weil den Polizeibeamten kein strafrechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden könne. "Aus Sicht der Staatsanwaltschaft haben die Polizisten keinen Fehler gemacht."

Bei der Frage, was sie genau erreichen will, zögert Stephanie Stumpf. Sie wolle nicht das Leben dieser Beamten zerstören. "Es handelt sich nicht um Körperverletzung mit Todesfolge", sagt sie mit Entschlossenheit. Es sei auch keine generelle Abrechnung mit der Polizei. "Es gibt viele gute Beamte dort, die meinem Bruder immer wieder geholfen haben. Manche haben ihn auch manchmal mit Essen versorgt." Aber der Gedanke, dass ihr Bruder noch leben könnte, lasse sie einfach nicht mehr los. "Sein Tod hätte verhindert werden können. Man muss zu seinen Gunsten davon ausgehen, dass er es geschafft hätte." Wenn es zu einem Prozess kommt, wenn sie diesen gewinne, werde sie das Schmerzensgeld spenden wollen.

(RP)
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