Holocaust-Gedenktag Jugend setzt Zeichen zur Wachsamkeit

Wesel · Der Holocaust-Gedenktag 72 Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz war gestern auch durchtränkt von Verweisen auf ganz aktuelle Rassismus- und Unterdrückungstendenzen in Deutschland und aller Welt.

 Pfarrer i.R. Dr. Norbert Ittmann sprach nach der Kranzniederlegung am Mahnmal für die ermordeten Weseler Juden zur Menge.

Pfarrer i.R. Dr. Norbert Ittmann sprach nach der Kranzniederlegung am Mahnmal für die ermordeten Weseler Juden zur Menge.

Foto: Fritz Schubert

Selten ist der Willibrordi-Dom so voll wie zum 27. Januar. Selten ist das Publikum so jung. Selten ist das Thema so aktuell wie jetzt: Gut 500 Menschen passen in die Bankreihen. Gestern mussten eilig noch zusätzlich Stühle aufgestellt werden. Als diesjähriger Gestalter des Holocaust-Gedenktags stellte die Gesamtschule am Lauerhaas naturgemäß das Gros. Vertreten waren aber auch die anderen weiterführenden Schulen, Politik, Verwaltung, Militär, Kirchen, Wirtschaft, gesellschaftlich engagierte Gruppen und private Besucher.

Die Breite unterstrich, dass die Erinnerungskultur in Wesel gelebt wird und dass sie Zukunft hat, weil die Jugend sie mitträgt. Dies brachte Pfarrerin Eva Holthuis, die sich als Gastgeberin verstand und bewusst von einer Bürgerveranstaltung sprach, gleich zu Beginn zum Ausdruck. Keinen Hehl macht Holthuis aus ihren Sorgen. Die kreisten um einen Rechtsruck bei der Landtagswahl im Mai ebenso wie um Unterdrückung in einem Nachbarland Südosteuropas. Und beim Blick über den Atlantik werde ihr gar schlecht, sagte Holthuis.

Bürgermeisterin Ulrike Westkamp ließ die Geschichte der Erinnerungskultur aufleben. Auch in Wesel hat es gedauert, bis offener mit dem Tabuthema Judenverfolgung umgegangen wurde, der 50. Jahrestag der Pogromnacht 1988 eine Wende markierte und der Jüdisch-christliche Freundeskreis - heute mit der Stadt und den Schulen Veranstalter des Gedenkens - seine Arbeit aufnahm. Mit Wesels jüdischem Ehrenbürger Ernest Kolman (90) in England hatte Westkamp am Donnerstag telefoniert. Wie sie berichtete, hat er sich ausführlich über den Ablauf des Gedenktages informieren lassen.

Lauerhaas-Gesamtschüler verschiedener Jahrgangsstufen unterstützten als Hauptpersonen das Gesagte mit eindringlichen Beiträgen: Lieder gepeinigter Künstler und Erinnerungen von Überlebenden gingen dabei unmittelbar unter die Haut. Verstärkt noch wurde die packend-bedrückende Atmosphäre mit Spielszenen ohne Worte. Pantomimische Schilderung des Grauens und Mahnung zur Wachsamkeit.

Die Jüngsten aus der Stufe 6 waren im Vorfeld auf die Spur Weseler Juden gegangen und hatten dazu mit den eigenen Füßen Abdrücke zu Papier gebracht. Die wiederum hatten die Kinder mit Namen und Lebensdaten der Ermordeten versehen. Wie bei den Stolpersteinen im Straßenpflaster, die in der Stadt an die Wohnorte der früheren Mitbürger erinnern. Schade nur, dass der Auftritt der Schar und das von ihr Gefertigte aus den Kirchenbänken heraus kaum zu erkennen waren.

Ein weiterer Kernpunkt des Gedenkens waren Fragen an den Niederländer Paul Glaser, der die Geschichte seiner Tante Roosje in dem Buch "Die Tänzerin von Auschwitz" erzählt. Es wird in den Niederländisch-Kursen am Lauerhaas gelesen.

Auch Glaser wusste lange Zeit nichts. Katholisch, so sagt er, war er in Maastricht aufgewachsen. Das Jüdischsein war ein Familiengeheimnis. 90 Prozent der Verwandten sind ermordet worden. Bis heute hat sein Vater nicht darüber gesprochen. Bei einem Besuch des KZ Auschwitz entdeckte Paul Glaser auf einem Berg von Koffern einen mit der Aufschrift Glaser. Das gab für ihn den Ausschlag, "eine von vielen Geschichten zu erzählen, die man weitererzählen soll". Das tat er außer im Dom gestern Morgen schon in der Schule und abends im Scala.

Groß blieb die Beteiligung auch beim Lichtergang durchs Brautportal hinaus zur Kranzniederlegung am Mahnmal für Wesels ermordete Juden, wo Pfarrer i.R. Dr. Norbert Ittmann zur Menge sprach.

(RP)
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