Wesel Jung, ledig, wissbegierig

Wesel · Fünf internationale Förderklassen mit 87 Schülern gibt es am Berufskolleg. Wer sie besucht und mit den jungen Flüchtlingen spricht, spürt ihre Angst und Hoffnungslosigkeit - und viel Ehrgeiz.

 Studienrätin Birgit Färcher unterrichtet die jungen Flüchtlinge sehr gerne. "Sie sind oft sehr viel ehrgeiziger als die Schüler, die in Deutschland aufgewachsen sind", sagt sie.

Studienrätin Birgit Färcher unterrichtet die jungen Flüchtlinge sehr gerne. "Sie sind oft sehr viel ehrgeiziger als die Schüler, die in Deutschland aufgewachsen sind", sagt sie.

Foto: Klaus Nikolei

Sie sind männlich, ledig, jung und wissbegierig. Und was fast alle Schüler der internationalen Förderklasse von Studienrätin Birgit Färcher im Weseler Berufskolleg ebenfalls eint, ist die Sorge um die Zukunft. Denn kaum einer von ihnen weiß, wie lange er noch in Deutschland bleiben kann. Vor allem diejenigen, die aus scheinbar "sicheren Herkunftsländern" wie Afghanistan als alleinreisende Minderjährige nach Deutschland gekommen sind, haben Angst. "Obwohl die Medien immer wieder von Bombenattentaten in Afghanistan berichten, bei denen Menschen sterben, kann es sein, dass wir dorthin zurückkehren müssen", sagt Weysodin. Der 18-Jährige ist seit gut 15 Monaten am Niederrhein und wohnt in einer Flüchtlingsunterkunft in Schermbeck. So wie die meisten seiner Klassenkameraden spricht er gut Deutsch.

Auf den ersten Blick unterscheiden sich Weysodin und die anderen jungen Männer aus der Flüchtlingsklasse von Studienrätin Birgit Färcher nicht von anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die die größte Schule im Kreisgebiet besuchen. Alle tragen modische Kleidung und Schuhe, haben ein gepflegte Äußeres. Doch wer sich mit ihnen ein paar Minuten unterhält, spürt ihre Ernsthaftigkeit, ihre latente Angst. "Viele klagen über Schlafstörungen und Kopfschmerzen. Das ist ja auch kein Wunder, wenn man immer mit dem Gedanken konfrontiert wird, womöglich abgeschoben zu werden", sagt Birgit Färcher.

Das Leben in Deutschland hatten sich die meisten ganz anders vorgestellt, als sie sich voller Hoffnung auf den Weg gemacht haben. Ohne Eltern, in Booten von Schleppern übers Meer. Dann teilweise zu Fuß und mit dem Zug.

"Ich möchte hier eine Familie gründen und eine Existenz aufbauen", sagt der gebürtige Albaner Redon, der beim Weseler Obermeister der Sanitärinnung, Norbert Borgmann, ein Praktikum absolviert. Grund für seine Flucht war, dass er keine berufliche Perspektiven in seinem Land gesehen hat. Auch ihm droht die Abschiebung. Praktika gehören in den fünf Flüchtlingsklassen des Kollegs - nur sieben von 87 Schülern sind Mädchen - zum Unterrichtskonzept dazu. "Denn wir wollen, dass sie den Alltag in Betrieben kennenlernen - und natürlich auch die Fachsprache der Berufe", sagt Färcher und lobt ihre Schüler. "Sie sind oft viel ehrgeiziger als die meisten Schüler, die in Deutschland aufgewachsen sind. Einige sind sehr talentiert. Auf jeden Fall sind alle eine Bereicherung für uns."

Auch wenn das Leistungsniveau in den internationalen Förderklassen sehr unterschiedlich ist, so sollen doch alle am Ende den Hauptschulabschluss nach Klasse neun erwerben. Und wie geht's dann weiter? "Wenn die jungen Leute keinen Erfolg bei der Suche nach einer Lehrstelle haben, bleiben die meisten auf unserer Schule", sagt die Studienrätin, die unumwunden zugibt, dass sie und ihre Kollegen die jungen Flüchtlinge besonders gerne unterrichten. Auch wenn das Leben dadurch nicht einfacher ist. Nicht nur, dass den Lehrern die Schicksale der Schüler nahe gehen. "Ich", sagt Birgit Färcher, "stoße im Bekanntenkreis auf so viele Ressentiments und erlebe, wenn ich von meiner Arbeit berichtete, fremdenfeindliche Äußerungen. Trotzdem möchte ich nichts anderes tun, als diese Jungs zu unterrichten".

(RP)
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