Hamminkeln Mit Koffer voller Gedichte in Marienthal

Hamminkeln · Anna Magdalena Bössen geht mit dem Rad auf Literaturtour und erzählt gegen Kost und Logis von ihren Gastspielen. Mit "Deutschland, ein Wandermärchen" und ihrer etwas anderen Vortragskunst war sie jetzt im Haus Elmer.

Ein Rad, ein Koffer und viele Gedichte: Anna Magdalena Bössen tritt auf ihrer Literaturtour gerne gegen Kost und Logis auf oder wird gebucht. Dabei erlebt sie manche Überraschungen und fast immer liebevolle, sehr bemühte Gastgeber. Ihre Erlebnisse gibt sie dann bei den Rezitationsveranstaltungen zum Besten, bei denen man sie auf ihrer Deutschlandtour mit dem Rad und dem markanten gelben Gedichte-Koffer erleben kann. Anna Magdalena Bössen kam jetzt aufs Land, nach Marienthal ins Haus Elmer. "Deutschland, ein Wandermärchen" ist das Gastspiel betitelt, und natürlich spielt Heinrich Heine eine Rolle, dessen "Wintermärchen" Namenspate war.

Denn das bekennende Nordlicht Bössen hat gerne Klassiker im Programm bei der Sinnsuche quer durch die Republik, bei der sie fragt: "Bin ich Deutschland?" Ihre Antwort wollten bei zwei Veranstaltungen - einer Lang- und einer kurzen Koffer-Version - nur relativ wenige Zuhörer erleben. Schade, denn Bössen begeisterte, und der Marienthaler Kultur ist ein Aufschwung zu wünschen, bringt sie doch ungewöhnliche (Klein-)Kunst an den Niederrhein.

Anna Magdalena Bössen ist gelernte Sprechtrainerin und - ja, sowas gibt's - diplomierte Gedichtrezitatorin. Sie spielt mit der Lautsprache, deklamiert mal dominant, verlangsamt gelangweilt, säuselt je nach Bedarf süß oder sexy.

Mundhandwerk ist Schwerarbeit, wie das Marienthaler Publikum bei gemeinsamen Sprechübungen gleich erfuhr, bevor es auf gereimte Wanderschaft ging. Goethe, Heine, Schiller, Rilke oder Novalis wurden als Klassiker in die Radfahrgeschichten eingewoben, die wiederum per Fotopräsentation durchs Land führten.

"Bin ich Deutschland?" - diese sinnsuchende Frage stellt Bössen nämlich bundesweit, am liebsten jedoch als norddeutsch Orientierte, die auch Abstecher in den Osten der Republik besonders mag. Oder die nordfriesischen Inseln, ihre Gedichte reichen von Sylt bis zur Hallig Hooge.

Von deutscher Schwermut erzählen dabei höchstens die fotografierten Landschaften, bei den Vorträgen ist das Publikum nicht nur offen, sondern mächtig wohlgestimmt. Das liegt an der professionellen Kenntnis von Bössen ebenso wie an ihrer Vortragskunst und der positiven Art, per Bildern hinter die Kulissen ihres ganz persönlichen Wandermärchens und der Welt der jeweiligen Gastgeber schauen zu lassen. Das erzeugt Nähe.

Gegründet hat sie einst das Projekt texttouren, bei denen sie in Hamburg Literatur in Bewegung brachte und Rezitation und Theater vor urbaner Kulisse oder am Elbestrand, bei Regen und Wind, ihren Zuschauern präsentierte. Mit dem Wandermärchen verlegte Anna Magdalena Bössen die Bühne ins private Umfeld, in das Wohnzimmer oder in kleine, überschaubare Spielstätten mit Familienanschluss wie in Marienthal.

So kommen die Dichter und Denker nahe ran an den Menschen in seinem direkten Umfeld. Theatralisch und künstlerisch erfordert so etwas Kompromisse, die durch nahen Publikumskontakt mehr als kompensiert werden. Gut, dass die Fahrt weitergeht.

(thh)
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