Wesel Musik mahnt sehr deutlich zum Aufbruch

Wesel · "Lutherlieder in Orgelkompositionen" bewegen im Dom eine nur kleine Zuhörerschaft.

Der musikalische Auftakt zum Reformationsjubiläum, das eigentlich ein Lutherjahr ist, am Sonntagabend im Willibrordi-Dom setzte ein beeindruckendes Zeichen für die überzeitliche Bedeutung jenes Ereignisses. Wenngleich das Orgelkonzert nur mit "Lutherlieder in Orgelkompositionen" überschrieben war, thematisierte es den jahrhundertealten, auch jetzt fortwirkenden Prozess. Die leider nicht allzu vielen Hörer wussten das zu schätzen und bestätigten es in ihrem langen Applaus für den international tätigen Kölner Organisten Johannes Quack, eingeschlossen der Dank an Domkantor Ansgar Schlei für dessen kenntnisreiche Planung.

Das Konzert begann mit Jan Pieterszoon Sweelincks "Vater unser im Himmelreich". Dieser niederländische Komponist hatte bereits die Schwelle zu der damals moderneren Renaissance-Musik überschritten und vielfältiger als im Mittelalter üblich die tragende Melodie in Varianten mit stetiger Oberstimme bereichert. Hundert Jahre später wies der große Bach mit einer Bearbeitung des Chorals "Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt", BWV 688, mit seinem sehr lebhaften, von vielen Läufen durchwirkten Werk gleicherweise auf Sinnwahrung und zeitnah nötige Veränderungen hin. Felix Mendelssohn Bartholdy erzählt in seiner Orgelsonate Nr. 3 A-Dur, op. 65,3, besonders im ausholenden Con moto maestoso wie die Macht religiöser Hingabe aus dem Dunkel des Mythos erwächst. Max Reger, der neuen Zeit schon recht nahe, ruft mit seiner Invocation aus der 2. Orgelsonate op. 60 zu geistgeleiteter Innigkeit auf.

Das Heute spricht in Enjott Schneiders Orgelsymphonie Nr. 16 "Martin Luther", die im Oktober 2016 von Johannes Quack uraufgeführt wurde. Was auch Luther wusste, die Musik sagt deutlicher als Worte: Neu aufbrechen müssen wir! Realistische Hammerschläge des legendären Thesenanschlags wecken auf: "Wir glauben all an einen Gott", nüchterner zwar als früher, doch auch dem Wissen, das aus dem Mythos kommt, verhaftet. Wie das Luthers Sinnbild zeigt, die weißblättrige, von Gold umrahmte Rose, die in ihrem roten Herzen das schwarze Kreuz des Schmerzes birgt. "Mitten wir im Leben sind" - wieder pochen die Schläge, auch wenn wir tanzen möchten. Das "Perpetuum mobile", das immergleiche kosmische Tempo, begleitet Luther beim Verhör vor dem Reichstag, an dessen Schluss der Reformator betet "Gott helfe mir. Amen." Der Choral "Ein feste Burg ist unser Gott", das Lutherlied der Reformation, ermutigt unter Hammerpochen zur symphonisch umfassenden Neubesinnung.

(RP)
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