Wesel Schwarzfahrer büßt für seine krankhafte Leidenschaft

Wesel · Seine Geständigkeit ist legendär. Mehrfach schon hat der 22-Jährige vor Gericht gestanden. In den weitaus meisten Fällen ging es ums Schwarzfahren mit der Bahn. Wie immer machte der Angeklagte daraus auch gestern vor dem Jugendschöffengericht keinen Hehl, brauchte sich nicht an einzelne der 59 neuen Vorwürfe zu erinnern. Denn er fährt ja grundsätzlich schwarz.

Kreuz und quer durchs Ruhrgebiet, den Niederrhein hinauf und hinunter, und auch bundesweit ist er stets ohne Ticket unterwegs gewesen. Die Fälle lassen sich kaum noch addieren. Bewährung wurde widerrufen. Deswegen saß der junge Mann nun seit September schon ein, wurde gestern aus der Justizvollzugsanstalt Heinsberg für die Verhandlung nach Wesel gebracht. Ergebnis: Auf seine neun Monate Haft kommen drei weitere drauf.

Es ist eine ebenso krankhafte wie tragische Leidenschaft. Bei dem Angeklagten handelt es sich um einen 22-Jährigen aus Schwarzafrika, der in Wesel aufgewachsen ist. Die familiäre Situation bescherte ihm Gewalterfahrungen und Stress. Stets kamen Behörden ins Spiel. Der junge Mann durchlief eine ganze Reihe psychiatrischer Einrichtungen. Zugfahrten ermöglichten es ihm, teils dorthin oder auch wieder von dort wegzukommen. Außerdem dienten sie den permanenten Fluchten aus dem familiären Chaos zwischen den getrennt lebenden Eltern in Wesel und Duisburg. Die Bahn ist sein Verhängnis. Ein Schülerpraktikum hatte er schon bei ihr gemacht. Lokführer wollte er immer werden. Auch gestern unterstrich er wieder diese Absicht. Der Vorsitzende hegte Zweifel, dass dies mit seiner Vorgeschichte jemals möglich sein wird bei einem Arbeitgeber, den er derart betrogen hat. Vielmehr noch sah sich der Richter, weil seit vielen Jahren mit dem Fall vertraut, in der Zwickmühle, was denn nun zu tun ist.

Das Vernünftigste wäre eine langfristige Therapie, bei der der Mann mitwirkt, seine Medikamente tatsächlich nimmt und nicht nach ein paar Tagen schon wieder das Weite sucht. Das ist nicht in Sicht. Der Häftling verweigert die Einnahme, muss wegen Suizidgefahr alle 15 Minuten kontrolliert werden. Zwangsmaßnahmen sind auch deshalb nicht möglich, weil dafür die Straftaten nicht schwer genug sind. Kurz: Nach der Haft dürfte der Kreislauf wieder von vorne losgehen.

(RP)
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