Hamminkeln Uhr läuft ab für den Gasthof Pollmann

Hamminkeln · Die Wirtsleute Hermann (73) und Rosa Pollmann (67) in Mehrhoog wollen spätestens in einem Jahr aufhören. Für den 73-Jährigen nähert sich "der schwerste Tag in meinem Leben". Er ist in dem Haus geboren und alt geworden.

 Das Hochzeitsbild zeigt die Eheleute Heinrich und Maria Pollmann. Die stattliche Festgesellschaft posierte vorm Eingang zur Bahnhofstraße hin für den Fotografen.

Das Hochzeitsbild zeigt die Eheleute Heinrich und Maria Pollmann. Die stattliche Festgesellschaft posierte vorm Eingang zur Bahnhofstraße hin für den Fotografen.

Foto: Malz, Ekkehart (ema)

Hermann Pollmann steht mit 73 Jahren immer noch hinterm Tresen. Oben im Regal steht ein Foto seiner Mutter Maria. Sie lacht. Ihr Sohn, der hier in der Gaststube groß und inzwischen alt geworden ist, hat einen schweren Entschluss gefasst. Er will den Zapfhahn hochstellen. Nicht sofort. Aber in absehbarer Zeit. Seine Gaststätte mit dem einzigen Saal in Mehrhoog bietet er im Internet zum Verkauf an. Oder zum Verpachten oder Vermieten. In gut einem Jahr soll Schluss sein für ihn und seine Frau Rosa (67). "Es geht nicht mehr", sagt Hermann Pollmann. Acht Stunden und länger hinter der Theke, sechs Tage die Woche und zwischendurch immer Gesellschaften - das schlaucht. Aber wohl ist ihm trotzdem nicht, wenn er ans Ende denkt: "Das wird der schwerste Tag in meinem Leben."

Er macht keiner seiner drei Töchter einen Vorwurf, dass keine die Familientradition in die vierte Generation fortsetzt. Doch es fasst ihn an. "Jede durfte ihren eigenen Weg gehen. Unser Verhältnis ist gut." Aber bei Familientreffen ist das Ende der Ära Pollmann am Bahnübergang tabu: "Darüber wird nicht gesprochen." Punkt.

Eine Wahl hatte Hermann Pollmann als junger Mann nicht. Der Volksschüler wollte nach einem schönen Ausflug an die Mosel mal Busfahrer werden. Aber Vater Heinrich hatte andere Pläne und seinem einzigen Sohn "mit aller Bestimmtheit" vorgeschrieben, wo sein Platz war - "da, wo ich immer war, bis heute". Er hat eine kaufmännische Lehre gemacht. Zum Betrieb gehörten damals noch ein Kohle- und Kunstdüngerhandel.

Großvater Hermann "Mutz" Nienhaus, ein Viehhändler, hat den Hof mit Gaststube in den 20er Jahren gekauft. Er hatte erkannt, dass die Bahn dem Dorf Mehrhoog Aufschwung bringen würde. Die Bahn, die dem Enkel heute den Ausstieg nicht gerade leichter macht. Der immer näher rückende Ausbau der Betuwe-Line bringt zumindest für die Bauzeit jede Menge Ungemach. Das dritte Gleis raubt dem Gasthof Pollmann die Hälfte seiner Parkplätze. Hermann Pollmann hat mit Chef-Planer Ventzke und Bürgermeister Schlierf an einem Tisch gesessen. Seine von Anwälten ausgearbeiteten Einwendungen im Genehmigungsverfahren für den Streckenausbau füllen "ein kleines Buch".

Dem 73-Jährigen ist klar, dass er vor dem anrollenden Großprojekt nicht zu hohe Erwartungen an den Verkauf haben kann, auch wenn's am Ende "hier viel ruhiger sein wird als heute". Er ist Realist: "Es muss sich für den neuen Wirt rechnen, das ohnehin immer schwieriger werdende Gastronomie-Geschäft weiterzuführen." Es gab Anfragen, die Pollmann nicht ernst genommen hat. Ein Anruf von der Côte d'Azur war dabei. "Da wollte jemand Geld anlegen."

Die Eheleute Pollmanns führen das Geschäft auf bewährte Weise. Und es läuft gut. Buchungen werden mit Kugelschreiber in den Kalender eingetragen. "Einen Computer haben wir nicht." Ein Blick reicht. Da steckt noch 'ne Menge Arbeit drin. Dienstags ist Ruhetag. "Aber wenn Anfragen nach einem Beerdigungskaffee kommen, sagen wir auch da nicht ab", so Hermann Pollmann. Früher kannte er in Mehrhoog jedes Haus. Das ist längst anders geworden. Aber wenn eine Feier ansteht, ist sein Haus, das er Mitte der 80er Jahre umbauen ließ, die erste und einzige Adresse.

Bei den Buchungen über Jahresfrist hinaus sind die Pollmanns inzwischen vorsichtig. Aber dem Dorf fühlen sie sich verpflichtet, auch wenn Versammlungen nicht lukrativ sind. "Viele Mehrhooger Vereine sind bei uns."

Vorne im Schankraum atmet der Gast lebendige Vergangenheit. Im alten Tefifon in der Ecke, einem Röhrengerät aus den Anfängen der Wirtschaftswunderzeit, liegen noch die alten Schall-Bänder, die sich damals zum Tanz gedreht haben. Oben drüber thront an der Wand der präparierte Kopf einer afrikanischen Antilope. Ein echter Kontrast. Die hat Rosa Pollmann geschossen. Die Trophäenjagd ist seit vielen Jahren ihre gemeinsame Leidenschaft, bei der die Pollmanns die Heimat ein gutes Stück hinter sich lassen. Sie haben viele Länder gesehen, auch ferne.

Das hilft im Alltag. Nicht nur, weil nach der Jagd oft Wild auf der Speisekarte auftaucht. "Die Leute, die in die Wirtschaft kommen, möchten Unterhaltung", sagt Hermann Pollmann. Da sind Geschichten gefragt. Einen guten Wirt zeichne aus, dass er immer ein Thema findet, so dass der Gesprächsfaden nicht abreißt. "Da hilft es, die Zeitung gelesen zu haben." Und wenn gar nichts mehr geht, ist da immer noch die Betuwe. Seit mehr als 20 Jahren.

Unterm Strich aber lebe ein Wirt vom Vertrauen seiner Gäste. Das genießen die Pollmanns. Früher lief eine Uhr, die zeigte, wie viel Bier bei einer Feier durchging. "Nie hat einer hinterher einen Blick darauf verlangt." Doch die Uhr im Gasthof Pollmann läuft ab. Unaufhaltsam.

(RP)
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