Wesel Wenn eine Fassade nicht zu retten ist

Wesel · Der Schmuck am Haus Hansaring 42 von 1898, genannt "der Zahn", verschwindet. Das tut auch den Eigentümern weh.

 Heute ist "der Zahn" eingerüstet. Seine schmucke Fassade ist marode und verschwindet unter Platten.

Heute ist "der Zahn" eingerüstet. Seine schmucke Fassade ist marode und verschwindet unter Platten.

Foto: Ekkehart Malz

Als im Februar 1945 alliierte Bomberverbände Wesel in Schutt und Asche legten und einen Monat später die Trümmerwüste mit starkem Beschuss noch einmal umgepflügt wurde, hat es Hunderte Menschen das Leben und die Stadt ihre Baugeschichte gekostet. Aus der Mondlandschaft ragte kaum noch Brauchbares heraus. Zu den wenigen Gebäuden, die vergleichsweise wenig abgekriegt hatten, zählte das Haus Hansaring 11, das heute die Hausnummer 42 trägt. Oft wird es "der Zahn" genannt, weil es auf Bilddokumenten der Zerstörung eben so aussieht. Heute ist der Bau, den täglich Tausende Pendler meist achtlos passieren, ein Sorgenkind. Es ist eingerüstet. Hinter der Plane verdecken Platten bereits die einst schmuckvoll dekorierte Fassade. Das sorgt für Diskussionen und für Fragen.

Der aus Wesel stammende Architekt Marcus Schafaff (Krefeld), der für die FDP mal Bürgermeisterkandidat in seiner Heimatstadt war, zeigt sich angesichts des Gerüsts "tief getroffen". Erst habe er noch gedacht, die Fassade werde saniert, aber dann habe er Dämmplatten gesehen, schildert Schafaff der RP. Er sortiert des Haus in der Gründerzeit und als erhaltenswert ein. Eben weil es ja kaum noch was davon Wesel gebe. "Es ist als Einziges da stehengeblieben", sagt Schafaff und kritisiert einen Denkmalschutz, der beispielsweise in Büderich für enorme Auflagen an weit weniger wertvollen Bauten sorge.

Amtliche Erklärungen indes liefert die Stadt auf Anfrage der RP. Laut Helmut Klein-Hitpaß vom Fachbereich Stadtentwicklung reicht beispielsweise die Gestaltungssatzung samt Fassadenprogramm nur an den Ring heran, bezieht ihn aber nicht mit ein. Unabhängig davon gelte Denkmalschutz natürlich auch für Solitäre wie Dom und Berliner Tor, in der Regel aber für Ensembles, also für eine zusammenhängende historische Bebauung wie an der Lipperheystraße oder an der Wackenbrucher Straße. Vor Jahren sei der Hansaring 42 ein Thema gewesen, doch habe das Rheinische Amt für Denkmalpflege in Bonn das Haus nicht unter Schutz stellen wollen. "Der Eigentümer kann selbst entscheiden, was er macht. Man kann so etwas auch gut gestalten", sagt Klein-Hitpaß, auf "ästhetisch interessierte Eigentümer" hoffend.

Dr. Martin Roelen, Leiter des Stadtarchivs, kann berichten, dass August Tenbusch der Bauherr war und dieser von 1898 bis 1931 auch dort wohnte. Er spricht zudem von Vorjugendstil mit Stuckwerk und Fischblasenmuster sowie von der Neustadt, die seinerzeit nach der Entfestigung Wesels gebaut werden konnte. Mit großen, geräumigen und vor allen Dingen besseren Häusern, als sie im mittelalterlich beengten Zentrum zuvor üblich waren. Wenn hinterher "alles gleich aussieht", dann fände Roelen das "sehr bedauerlich".

Das geht auch den Eigentümern so, die sich einst ganz bewusst für dieses Objekt entschieden haben, nun aber ein Problem haben, für dessen Lösung sie keinen anderen Ausweg sehen als die Verkleidung der Fassade. "Eine hervorragende alte Altstadt-Villa. Es tut mir selber richtig leid", sagt Willi Trippe. Der Mann der früher für die SPD im Rat saß und jetzt dem Kreistag angehört, ist Sprecher der siebenköpfigen Eigentümergemeinschaft. Mit seiner Frau besitzt er zwei Wohnungen in dem Haus. Gekauft haben sie sie Ende der 90er Jahre von der Sparkasse Dinslaken, die bei der Sanierung in den 80ern wohl an der Armierung gespart habe, berichtet Trippe. Nun sei die Fassade marode. Stuck, Putz, Gesimse und Fensterbänke bröckelten. In ganzen Stücken zu 30 Kilo, weshalb man schon habe absperren müssen.

"Für so etwas finden Sie in Deutschland keine Firmen mehr. Man müsste eine Truppe aus Polen besorgen", sagt Trippe und spricht von einer hohen fünfstelligen Summe. Und gerade bei einer Eigentümergemeinschaft sei so eine Finanzierung äußerst schwierig. Um beispielsweise an Fördermittel der KfW-Bank zu kommen, hätte man eine Gesellschaft gründen müssen, bei der einer für den anderen einstehen müsste. "Wir hatten alle vorher schon reingebuttert und haben bis zuletzt gerungen. Die Baustelle hat sogar 14 Tage geruht, als sich herausstellte, was alles gemacht werden müsste. Da mussten wir uns erstmal eine Meinung bilden", sagt Will Trippe.

Das Thema Dämmung, das allüberall auch schon viele schöne Backsteinfassaden der Nachkriegszeit im Isolierungswahn verschwinden ließ, ist am Hansaring 42 übrigens keins. Bei 60 Zentimeter dicken Mauerwerk erübrigt sich das. Die Eigentümer haben beschlossen, mit den Platten einen Untergrund zu schaffen, auf dem überhaupt etwas hält.

Schande oder Notwehr: Die Frage lässt sich wohl nur anhand der individuellen Möglichkeiten beantworten.

(RP)
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